Der Angriff
Kleinbus mit verdunkelten Fenstern zum Stillstand. Rapp öffnete den Gurt und stand auf. Sein Äußeres hatte sich geändert, seit er Bandar Abbas verlassen hatte. Der zerzauste graue Bart war einem glatt rasierten Gesicht gewichen. Nachdem der Bart weg war, trat nun eine Narbe an der linken Wange zutage, die sich deutlich von der braun getönten Gesichtshaut abhob. Sie war etwa zwei Millimeter breit und reichte vom Ohr bis zum Kiefer hinunter. Die Ärzte hatten alles Erdenkliche getan, damit die Wunde, die durch ein Messer verursacht worden war, möglichst gut und unauffällig vernarbte. Die Schnittverletzung war zunächst über einen Zentimeter breit gewesen, doch nachdem die Chirurgen ihre Arbeit getan hatten, war nur noch ein dünner Strich übrig. Diese Narbe erinnerte Rapp tagtäglich daran, wie gefährlich sein Job war. In seinem dichten langen Haar war immer noch eine graue Strähne zu sehen, doch den Großteil der grauen Farbe hatte er während der fünfzehnminütigen Dusche herausgewaschen, die er sich nach der Landung der beiden Helikopter in Saudi-Arabien genehmigt hatte. Rapp hatte mit Harris und seinen Männern ein schnelles Bier getrunken und war danach unter die Dusche gegangen, um sich den Schmutz einer ganzen Woche herunterzuwaschen. Als er sich endlich sauber fühlte und wieder wie ein Mensch roch, blieb er noch fünf Minuten unter der Dusche und genoss ein zweites Bier.
Danach ging Rapp zurück in den Raum, wo Harris und seine Leute bereits beim zweiten Kasten Bier angelangt waren. Harut lag auf einem Feldbett, nachdem man seine Wunden versorgt und ihm eine grüne Fliegerkombi angezogen hatte. Noch einmal wurden Gratulationen ausgetauscht, ehe Rapp sich schließlich Harut über die Schulter warf und zu dem Learjet hinausging, der bereits wartete.
Nun waren sie also in Deutschland gelandet, dachte Rapp und blickte gähnend auf Harut hinunter. Er hätte ihm am liebsten noch im Iran eine Kugel in den Kopf gejagt – doch falls dieser Mann ihnen nützen konnte, wenn es darum ging, Aziz zu finden, so sollte es ihm recht sein. Rapp tappte im Mittelgang nach vorne und öffnete die Tür. Da sah er, wie die Tür des blauen Kleinbusses auf ging und eine Frau ausstieg, gefolgt von zwei Männern. Es kam nicht oft vor, dass ihm die Gegenwart eines Menschen ein mulmiges Gefühl verursachte, doch als Rapp sah, wie Dr. Jane Hornig auf ihn zukam, wünschte er sich plötzlich, er wäre woanders.
Dr. Hornig war etwa Mitte vierzig, trug einen blauen Blazer, den sie vorne am Revers zuhielt, und hatte einen Aktenkoffer aus Metall in der Hand. Rapp war überzeugt, dass ihr bleiches Gesicht mindestens zehn Jahre nicht mehr mit Sonnenlicht oder Make-up in Berührung gekommen war. Jane Hornig entsprach ganz dem Klischee der Wissenschaftlerin, die auf ihr Äußeres nicht viel Wert legte; alles, was für sie zählte, war ihre Arbeit. Sie war nur ungefähr einsfünfundfünfzig groß und trug ihr Haar zu einem Knoten geflochten.
Die Frau war Rapp irgendwie unheimlich, wenngleich er zugeben musste, dass sie über bemerkenswerte Fähigkeiten verfügte. Sie war nicht nur Psychologin, sondern hatte auch Biochemie und Neurologie studiert. Außerdem galt sie in Amerika als die größte Expertin, was die Geschichte und die Entwicklung der Folter betraf. Dr. Hornig hatte eine interessante Arbeitsbeziehung zur CIA. Der Geheimdienst versorgte sie mit Meerschweinchen im Hinblick auf ihre Experimente mit bestimmten Drogen – und sie lieferte dafür das, was man von ihr erwartete: Informationen, die sie aus den geheimsten Winkeln des menschlichen Gehirns hervorkitzelte. Dazu gehörten oftmals Details, an die sich die betreffenden Personen von allein gar nicht mehr erinnern konnten. Rapp hatte Dr. Hornig und ihren Handlangern einmal bei der Arbeit zugesehen und nach zehn Minuten beschlossen, dass es auch genügen müsste, wenn er hinterher ihren Bericht las.
Als Jane Hornig bei der Maschine ankam, sah sie zu ihm auf und sagte: »Hallo, Mr. Kruse.«
Nur wenige in Langley kannten Rapps richtigen Namen; für alle anderen war er Mr. Kruse, ein Agent, dessen Spezialgebiet der Nahe und Mittlere Osten war. Im Geheimdienstgeschäft war es allgemein üblich, nicht zu viele persönliche Fragen zu stellen. Indiskretionen hatten für gewöhnlich eine Rüge vom jeweiligen Vorgesetzten zur Folge.
Rapp grüßte die Frau und trat zur Seite, um sie einsteigen zu lassen.
»Wie geht es ihm?«, fragte Dr. Hornig und blickte in den hinteren Bereich des
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