Der Angriff
war, warum die Organisation es für ihre Zwecke ausgesucht hatte. In dieses Gebiet wagte sich selbst die Polizei nur äußerst selten.
Der junge Mann, der das Haus vor fünf Monaten auf Befehl von Rafik Aziz ausfindig gemacht hatte, war niemand anderer als Salim Rusan, der in den vergangenen sechs Monaten als unauffälliger Hotelboy im Washington Hotel gearbeitet hatte und der erst gestern als Scharfschütze mehrere Secret-Service-Leute getötet hatte.
Rusan war nun kein unauffälliger Zeitgenosse mehr. Dank des FBI war sein Foto im Fernsehen und in allen Zeitungen veröffentlicht worden. Doch auch damit hatte Rafik Aziz gerechnet, so wie jedes kleinste Detail der Operation vorausgeplant worden war. Aziz hatte noch einiges mit Rusan vor – deshalb wollte er, dass er sich vom Weißen Haus fern hielt, wenn die Polizei und das FBI dort auftauchten.
Nach seinem Einsatz als Scharfschütze hatte Rusan sofort das Hotel verlassen und sich nach Anacostia in dieses Haus begeben. Er hatte sich genau an AzizAnweisungen gehalten, hatte sich den Bart abrasiert und nur ein kleines Schnurrbärtchen und einen Spitzbart stehen lassen. Dann hatte er seine Haare mit einer Haarschneidemaschine auf einen Zentimeter Länge gekürzt und weiß gebleicht. Auch Gesichtshaare und Augenbrauen mussten gebleicht werden. Danach brachte er sich ein Piercing am rechten Ohr an und fügte zuletzt noch ein paar falsche Tätowierungen hinzu, von denen das Auffälligste ein umgekehrtes rosarotes Dreieck mit den Worten »Queer Nation« auf dem rechten Oberarm war. Rusan fühlte sich nicht wohl mit seiner Verkleidung. Er hasste Homosexuelle, aber diese Tarnung war auch nicht seine Idee gewesen, sondern die von Aziz. Und wenn Aziz einen Befehl gab, dann empfahl es sich, zu gehorchen.
Rusan hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen, bevor er am kommenden Morgen die Wohnung verlassen würde. Er sah auf die Uhr und überlegte, ob er sich gleich darum kümmern oder zuerst schlafen sollte. Unruhig betrachtete er die Kisten mit dem Sprengstoff und beschloss, bis zum Morgen zu warten. Er würde besser schlafen, wenn er wusste, dass die Bomben noch nicht scharf waren.
Rafik Aziz und Muammar Bengazi eilten die Haupttreppe zu den Privaträumen des Präsidenten hinauf. Aziz war außer sich vor Wut. Sie hatten das Weiße Haus erobert, ohne einen einzigen Mann zu verlieren – und jetzt, wo er nur noch vierundzwanzig Stunden davon entfernt war, sein großes Ziel zu erreichen, hatte er einen wertvollen Mann durch reine Dummheit verloren. Auch Bengazi schämte sich, dass einer seiner Männer so dumm gewesen war, sich von einer Frau überwältigen zu lassen.
Die Lichter im Schlafzimmer des Präsidenten waren eingeschaltet, als Aziz und Bengazi eintraten. Aziz blickte auf den blutüberströmten nackten Toten hinunter, den Ragib, der auf der anderen Seite des Bettes stand, gefunden hatte. Er wollte etwas äußern, doch Aziz gebot ihm mit einer knappen Geste zu schweigen. Der Oberste der Terroristen sagte eine ganze Weile kein Wort, während er sich in dem Zimmer umsah.
Nach einigen Minuten blickte Aziz auf, einen Ausdruck von beherrschter Wut auf dem Gesicht. »Was zum Teufel ist hier passiert?«, fragte er.
Ragib begann nervös die Ereignisse zu schildern – fürs Erste erleichtert, dass Aziz ihn nicht gleich exekutiert hatte. Er berichtete, dass Abu Hasan die Frau bewusstlos geschlagen und ins Schlafzimmer geschleppt hatte. Als er mit seinem Bericht fertig war, sah Aziz ihn einen Moment lang an und schlug ihn dann ohne Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht.
Ragib nahm den Schlag hin und machte sich auf einen weiteren gefasst. Obwohl er größer und kräftiger war als Aziz, fürchtete er seinen Anführer zutiefst. Sich zu wehren oder den Schlag abzublocken kam nicht in Frage. Aziz hob den Lauf seiner MP-5 und hielt ihn Ragib unters Kinn. »Sag mir einen Grund, warum ich dich nicht töten sollte für deine Dummheit«, stieß er wütend hervor.
»Ich habe keine Entschuldigung«, sagte Ragib gefasst, wohl wissend, dass es ihn das Leben kosten konnte, wenn er das kleinste Anzeichen von Angst oder Respektlosigkeit zeigte. »Es war dumm von mir. Ich verdiene es, zu sterben.«
Mitch hatte sich gerade noch in das kleine Zimmer retten können. Milt Adams kniete in einer Ecke bei der Frau, die Rapp gerade gerettet hatte, und versuchte sie zu beruhigen. Die Frau zitterte schon fast fünf Minuten am ganzen Leib, und Adams fürchtete, dass sie sich in einer Art
Weitere Kostenlose Bücher