Der Angriff
sich im Zimmer nebenan ereignete. Was vor allem zählte, war das Leben der Geiseln – und natürlich, dass er Rafik Aziz endlich zu fassen bekam. Er wusste ganz genau, was er eigentlich tun sollte – doch da meldete sich noch eine andere Stimme in ihm, die ihn zu etwas ganz anderem bewegen wollte.
In der Kommandozentrale in Langley waren alle Augen auf den großen Bildschirm in der Mitte gerichtet. Rapp hatte eine der Überwachungskameras installiert, die nun Live-Bilder aus dem Weißen Haus lieferte. Ohne die Augen vom Bildschirm zu wenden, fragte General Campbell: »Ist das das Schlafzimmer des Präsidenten?«
»Das muss es wohl sein«, antwortete Irene Kennedy. Sie sah auf dem Bildschirm einen Mann in der Tür stehen, der sich plötzlich umdrehte und ins Zimmer zurücklief. Das Profil eines zweiten Mannes tauchte in der Tür auf, und Irene erkannte sofort, dass es sich um Rapp handelte.
»Warum gehen sie wieder in den Wandschrank zurück?«, fragte Campbell.
»Keine Ahnung«, antwortete Irene Kennedy stirnrunzelnd.
Einer der Techniker drehte sich zu ihnen um und verkündete: »Wir bekommen jetzt auch einen Ton.«
»Legen Sie ihn auf die Lautsprecher«, wies ihn Irene Kennedy an. Einige Augenblicke später hörten sie ein kratzendes Geräusch.
Es folgte ein durchdringender Ton, und General Flood, der hinter Irene und Campbell saß, fragte: »Was zum Teufel war das?«
Irene Kennedy starrte auf den Bildschirm, der die offene Tür zum Schlafzimmer des Präsidenten zeigte. »Es hat sich angehört wie ein Schrei«, sagte sie.
In diesem Augenblick tauchte ein Mann in der Tür auf, der eine Frau hinter sich herschleifte. Wie auf Kommando rückten alle Anwesenden in der Zentrale näher an den Bildschirm heran, um besser sehen zu können, was sich da vor ihren Augen ereignete.
Mit ungewöhnlich angespannter Stimme rief Dr. Kennedy: »Gebt mir eine Verbindung mit Iron Man, schnell!« Irene Kennedy kannte Rapp besser als jeder andere der Anwesenden, vielleicht sogar besser als jeder andere Mensch auf der Welt. Sie wusste, dass es jetzt einzuschreiten galt, damit er nicht das tat, woran er mit Sicherheit gerade dachte.
Die MP-10 lag in der Ecke und war durch die schallgedämpfte 9-mm-Beretta ersetzt worden. Rapp starrte auf die Pistole hinunter. Er war außer sich vor Wut und mahnte sich selbst, ruhig Blut zu bewahren. Die Wut war kein besonders guter Ratgeber. Doch Rapp hasste nun einmal solch widerliche Kerle, die anderen Leid zufügten, ohne auch nur einen Hauch von schlechtem Gewissen zu empfinden.
Rapp hatte seine Entscheidung im Grunde bereits getroffen. Es gab für ihn kein Zurück mehr. Die Frau da draußen war irgendjemandes Tochter, wahrscheinlich irgendjemandes Frau und vielleicht sogar schon Mutter. Er konnte einfach nicht hier in dieser kugelsicheren Kammer sitzen und es einfach geschehen lassen.
Ein leises Piepsen ertönte von seinem Funkgerät und ein grünes Licht leuchtete auf. Doch anstatt sich zu melden, schaltete Rapp das Funkgerät ab. Er zog sein mattschwarzes Kampfmesser und blickte nachdenklich auf die Pistole hinunter, die er in der anderen Hand hielt.
»Was hast du vor?«, fragte Milt Adams beunruhigt.
Rapp sah ihn an und antwortete: »Ich gehe da raus und töte diesen Dreckskerl. Ich weiß, ich sollte es nicht tun, aber ich tu’s trotzdem.«
Adams schluckte und sagte schließlich: »Gut. Soll ich dir helfen?«
Rapp schüttelte den Kopf und schloss die Augen. »Nein … Schalte nur das Licht aus und mach mir die Tür auf. Ich bin gleich wieder da.«
Adams löschte das Licht und öffnete vorsichtig die Tür. Er konnte Rapp nicht mehr sehen, doch er spürte, wie er neben ihm hinausschlich.
Anna Rielly öffnete die Augen und versuchte etwas zu erkennen. Über ihr war alles dunkel, doch rechts von ihr sah sie Licht. Langsam drehte sie den Kopf und beobachtete ihren Peiniger. Der Mann hatte bereits das Hemd ausgezogen und war gerade mit der Hose beschäftigt. Anna versuchte sich zu bewegen, doch ihre Arme wollten ihr nicht gehorchen. Sie sah ihre nackten Brüste, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihr größter Albtraum wurde Wirklichkeit.
Mitch Rapp stand einige Sekunden lang in der Tür des Wandschranks und lauschte. Seine Augen waren geschlossen. Er wollte sie so gut wie möglich an die Dunkelheit gewöhnen. Aus dem Schlafzimmer drang ein Geräusch zu ihm herein. Es klang so als würde die Frau weinen, dann hörte er einen Mann lachen. Rapp
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