Der Angstmacher
greifen wollte.
Jetzt hatte die Angst tatsächlich Gestalt angenommen. Aus den Klängen waren die gefährlichen Schalten geworden, die sich zu dicken Klumpen vereinigten und auf sie niederglitten. Tatsache - Einbildung?
Sie konnte darauf keine konkrete Antwort geben. Jedenfalls kannte die Angst kein Pardon. Sie ließ ihr Herz schnell schlagen. Viel zu schnell, und ebenso hektisch drang der heiße Atem aus ihrem Mund, vermischt mit sprühendem Speichel.
Ellen wollte schreien und sich so mit ihrer Tochter in Verbindung setzen.
»Hör auf, Sally… hör auf…« Es war kein Schrei, der aus ihrem Mund drang. Nicht einmal in der entfernten Zimmerecke hätte er gehört werden können. Mehr ein Flüstern, ein Krächzen, der verzweifelte Versuch, sich zu artikulieren.
Das Grauen blieb in ihr…
Zugleich hatte es Gestalt angenommen. Ellen Saler spürte genau, daß etwas Fremdes in der Nähe lauerte und noch daraufwartete, sie besuchen zu können.
Wie magisch wurden ihre Blicke von der Tür angezogen, hinter der ein kleiner Flur lag.
Dort war es, genau dort hatte es sich konzentriert. Da mußte die Angst ihren Hort haben.
Hatte sie dort etwa Gestalt angenommen?
Ellen Saler lag auf der Seite. Sie wußte, daß dieses andere nicht hinter der Tür bleiben würde, daß es hineinkommen würde. Von unten her klangen die Melodien der Harfe wie eine Ouvertüre des Schreckens, die das Unbekannte jenseits der Tür begleitete.
Wann es kam?
Noch einmal legte Sally Saler zu. Sie spielte, als wollte sie die Saiten ihres Musikinstrumentes sprengen. Harfenspiel und Angst steigerten sich, explodierten förmlich, als die Tür aufbrach. Er war da - der Angstmacher!
***
Holzteile flogen Ellen Saler entgegen, es war ein schrecklicher Regen. Ellen starrte auf das Loch in der Tür, durch das plötzlich ein Gegenstand fuhr. Es war ein Arm. Ein Mörderarm!
Ellen glaubte zu schreien, doch nichts kam über ihre Lippen. Etwas befand sich in ihrem Innern, das alles andere stoppte. Sie war nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, jetzt hatte die Angst sie voll erwischt, und sie war wie eine Fessel.
Ein zweiter Schlag gegen die Tür folgte dem ersten. Der zweite Treffer hatte ausgereicht, um sie völlig zu zerstören. Sie war aus den Angeln gerissen worden und jetzt war die Bahn frei für das schreckliche Untier. Ein lebend gewordener Alptraum, die Angst, die Ellen verspürt hatte, entstand vor ihr.
Zudem begleitet von den Klangen der Harfe, die ihre Tochter in das Zimmer hochschickte.
Der Arm und das sich dahinter befindende, kaum erkennbare Etwas verschwamm vor ihren Augen. Sie wußte nicht mehr, um was es sich dabei handelte. War es ein Nebel, eine Gestalt? Möglieherweise auch nur Einbildung?
Ellen Saler kam nicht mehr dazu, sich darüber Gedanken zu machen. In ihrem Körper spielte plötzlich das Herz verrückt. Sein Schlag geriet zu einem rasenden Wirbel, der alles, auch ihr Gehirn aüseinanderzureißen schien. Dann war auf einmal die dunkle Glocke da. Riesig in ihren Ausmaßen und alles verschlingend, was sich ihr in den Weg stellte. Auch Ellen Saler.
Sie wußte nicht, daß diese gewaltige schwarze Glocke auch einen anderen Namen besaß. Der Tod!
Und er riß sie mit in sein Reich. Genau in dem Moment, als ihr Herz aufhörte zu schlagen…
***
Eine Etage tiefer verstummte das Spiel…
Die letzten Akkorde klangen aus, als hätten sie noch eine Botschaft zu überbringen. Was danach folgte, war die absolute Ruhe. Eine ungewöhnliche Stille, allerdings unterbrochen von schweren, keuchenden Atemstößen, die aus dem Mund der Sally Saler drangen. Das Mädchen hielt auch weiterhin die Harfe fest. Nur hatte sich Sallys Haltung verändert. Jetzt wirkte sie so, als würde das Instrument sie stützen.
Nach vorn gebeugt, das Holz umklammert und das Gesicht gegen die Saiten gepreßt.
So blieb sie.
Aufgelöst, schweißnaß. Das blonde, kurze Haar klebrig und fleckig. Speichel drang aus ihrem Mund, floß über die Lippen und fiel in langen Tropfenbahnen zu Boden.
Minutenlang blieb das Mädchen in dieser Haltung. Es mußte sich erholen, das Spiel und alles, was damit in einem unmittelbaren Zusammenhang stand, mußte von ihr erst überwunden werden. Das dauerte seine Zeit, und auch Sally kam sich mehr tot als lebendig vor. Ihr Atem veränderte sich zu Geräuschen, die schon Tierlauten glichen. Röcheln und Stöhnen, vermischt mit einem saugenden Atemholen, drangen durch das Zimmer.
Sie hob nach einer Weile den Kopf an und starrte zur Tür.
Weitere Kostenlose Bücher