Der Angstmacher
Finger an der hölzernen Umrandung entlanggleiten.
Das Instrument bildete den Mittelpunkt des kleinen Zimmers, in dem sie wohnte. Es war ein Haus, das den Vergleich mit einer Jugendherberge standhielt. Zwanzig kleine Zimmer, ein Speisesaal und ein großer Raum, in dem gespielt werden konnte.
Das Festival würde erst in drei Tagen beginnen. Die zehn jungen heute aus zahlreichen Ländern Europas wollten hier ein klassisches Konzert aufführen und beweisen, daß Grenzen nicht trennen, sondern zusammenführen können. Viele hatten sich gemeldet, nur wenige waren angenommen worden. Unter anderem auch Sally Saler, denn sie konnte bereits vor dem Besitz des Instrumentes Harfe spielen. Ihre Mutter hatte sie angemeldet. Nach einem kurzen lest war sie eingeladen worden, zudem gab es nur wenige junge Menschen, die sich an das schwierige Musikinstrument heranwagten. Sally Saler gehörte dazu.
Mit ihrer Harfe hatte sie bei den anderen neun Mitgliedern des kleinen Orchesters Aufsehen erregt. Selbst der Dirigent hatte sich erstaunt gezeigt, doch sosehr sich die anderen auch um die Harfe kümmerten, Sally hatte keinen an sie herangelassen.
Niemand durfte sie anzupfen, nur sie. Darin verstand sie keinen Spaß, da war sie eigen.
Sie schlief in der ersten Etage. Die Zimmer lagen dicht nebeneinander. Nach den harten Stunden der Proben tat die Entspannung gut. Sally hatte geduscht und sich umgezogen. Sie trug helle Jeans, ein T-Shirt und darüber einen dünnen Pullover aus schwarzem Stoff. Deutschland stöhnte unter der ersten Hitzewelle des Jahres. In Köln, nach der Landung, war es schlimm gewesen. In der Eifel jedoch wehte stets ein kühler Wind über die Höhen, so daß sich hier auch das heiße Wetterertragen ließ.
Sally hatte das Fenster geöffnet. Sie schaute hinaus, wobei ihr Blick in das waldreiche Gelände des Freilichtmuseums fiel, wo sich die zahlreichen alten Häuser so verteilten, daß sie nicht von einem bestimmten Punkt aus zu sehen waren, weil sie sich innerhalb des Geländes durch den Wald fast perfekt tarnten.
Die Blätter der Laubbäume wurden vom seichten Wind gestreichelt und raschelten leise gegeneinander. Iis herrschte eine friedliche Stimmung, denn das Gelände selbst war für Touristen längst geschlossen worden. Nur mehr die Mitglieder des Orchesters, der Dirigent und die Wirtsleute befanden sich auf dem Areal.
Auch das Schnellimbiß-Restaurant war geschlossen worden und das kleine Museum nahe der Kasse ebenfalls. Es war eine wunderschone neue Anlage, gar nicht mal als Museum zu erkennen, denn die miteinander durch Gänge und Treppen verbundenen Flachbauten bestanden aus Glas und Holz, so daß der Besucher von überall her einen freien Durchblick bekam.
Im Museum waren alte Puppen, Puppenstuben und auch altes Spielzeug ausgestellt, außerdem Dinge des täglichen Lebens, die die Menschen damals benutzt hatten.
Die Gruppe hatte es kurz besichtigt, und die jungen Leute waren begeistert gewesen.
Sally zog sich wieder zurück. Ihr Haar war noch feucht von der Dusche. Sie drehte es nicht auf, ließ es trocknen, so daß die Strähnen immer ein wenig wirr fielen.
Die Einrichtung des Zimmers konnte man als ausreichend bezeichnen. Dem Bett gegenüber befand sich das Fenster, es gab einen Schrank, einen Tisch, zwei Stühle, auch ein Waschbecken mit kaltem und warmem Wasser. So dick wie die Mauern der alten im Gelände stehenden Häuser waren die Wände des kleinen Hotels nicht gebaut worden. In den Nachbarzimmern übten Musiker auf ihren Instrumenten. Sally hörte das leise Wimmern einer Geige. Im Nebenzimmer befand sich die Kollegin. Sie kam aus Deutschland und hatte bereits einen Wettbewerb gewonnen.
Manchmal wurde der Geigenklang auch vom harten Schmettern einer Konzerttrompete übertönt, und selbst die dumpfen Schläge einer Pauke waren zu vernehmen.
Ein normaler, nicht musikalisch begabter Mensch hätte sich an die Klänge nicht gewöhnt, doch Sally hörte sie nicht mehr. Außerdem besaß sie ihre Harfe.
Sie war ihr Ziel, als sie sich vom Fenster abgewendet hatte. Mit langsamen Bewegungen schritt sie auf das Instrument zu. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln. Sally liebte die Harfe, als wäre sie ihr eigenes Kind. Wieder streichelte sie das Holz und zupfte danach die Saiten an. Eine Klangfolge wehte durch den Raum, breitete sich aus, aber Sally hatte nur Augen für die vibrierenden Saiten, die so aussahen, als würden sie ineinanderlaufen. Dennoch blieben die Zwischenräume, nur zeigte sich in ihnen
Weitere Kostenlose Bücher