Der Angstmacher
ins Rollen gekommen. Ich war einfach davon überzeugt, daß sich alles um die Harfe drehte. Sie war die Wurzel des Übels. Wenn das Instrument von einer dämonischen Kraft besessen war, mußte diese stärker sein als die Bindung zwischen Mutter und Tochter.
Um in den Bezirk der Trödler und Antiquitätenhändler zu gelangen, mußte ich mich quer durch London quälen. Bei dem Verkehr war es eine Strapaze.
Zwischendurch öffnete der Himmel seine Schleusen. Ein Platzregen griff die Stadt an. Er hatte auch seinen Vorteil. An der Portobello Road hatten einige fliegende Händler mit nicht ganz wasserdichten Ständen das Feld geräumt, so daß ich sogar eine Parklücke fand. Etwas naß traf ich bei Samuel Archerein.
Diesmal hockte er hinter der Kasse. Er schaute mich an, und ich erkannte aus seinem Blick, daß er irgendwie Bescheid wußte. Ich schloß langsam die Tür. Aus dem Hintergrund des Ladens hörte ich Stimmen. Dort trieben sich einige Kunden herum.
»Ich war bei den Salers«, sagte ich.
Er nickte. »Wahrscheinlich zu spät — oder?«
»Ja, zu spät.«
»Was ist passiert?«
»Ellen Saler ist tot.«
Er atmete tief durch. »Die verdammte Harfe«, flüsterte er, »ich habe es geahnt.«
»Nicht gewußt?«
»Was weiß man schon über das Böse in der Welt? Es ist immer vorhanden, Sinclair. Es wird nie verschwinden. Es war schon da. Man kann es bekämpfen, aber man kann es nicht besiegen.«
»Das will ich nicht sagen.«
»Endgültig, meine ich.«
»Hören Sie, Mr. Archer, es hat eine Tote gegeben. Ihr Ableben kann mit der Existenz der Harfe zusammenhängen, obwohl Ellen Saler nicht durch Gewalt ums Leben gekommen ist. Sie erlag einem Herzschlag. Können Sie sich darauf einen Reim machen?«
»Nein.«
»Ich habe die Leiche gesehen, sehr genau sogar. Und mir fiel dabei der unnatürliche Ausdruck der Angst in ihrem Gesicht auf. Mir erschien es so, als hätte die Frau kurz vor ihrem Tod etwas Fürchterliches erlebt, regelrecht durchgemacht, das letztendlich zum Stillstand des Herzens mit beigetragen hat.«
Er wiegte den Kopf. »Wenn Sie eine konkrete Antwort von mir haben wollen, so kann ich sie Ihnen nicht geben.«
»Das glaube ich gern. Mir geht es um die Harfe. Kann Sie etwas mit dem Tod zu tun haben?«
»Ja.«
»Und wieso?«
»Moment.« Er kassierte bei einer Kundin ab, die mit einem alten Bügeleisen ging. Dann kam er wieder zur Sache. »In der Harfe steckt das Böse, Sinclair. Sie ist von einem Geist besessen, der schon seit Urzeiten existieren muß. Ein Dämon.«
»So alt ist die Harfe nicht.«
»Das weiß ich.«
»Dann vermisse ich die Logik.«
»Moment, Mr. Sinclair. Ich habe sie aus Ägypten mitgebracht. Der Verkäufer hatte mich schon gewarnt. Er wußte mehr, denn er war der Überzeugung, daß die Harfe aus zwei Teilen bestand. Einmal aus Holz. Dann aus den Saiten.« Er beugte sich vor. »Und diese Saiten sind das Übel, Sinclair«, flüsterte er. »In ihnen muß das Böse stecken. Der unheimliche Geist, der Toter. Die Saiten sind uralt. Sie stammen aus einer Zeit, die längst vergessen ist. Darum müssen Sie sich kümmern.«
»Gut, ich widerspreche nicht. Aber was hat Sie so sicher gemacht, Mr. Archer? Haben Sie sich allein auf die Saiten konzentriert oder…«
»Nein, ich habe sogar auf der Harfe gespielt. Als ich sie anzupfte, spürte ich es.«
»Das Böse?«
Er nickte inhaltsschwer. »So ist es, Mr. Sinclair. Das Böse in der Harfe.«
»Was verspürten Sie?«
»Zunächt hörte ich die Musik. Ich lauschte den Klängen. Dann aber kam es über mich. Ich hatte das Gefühl, etwas geweckt zu haben, das sich bisher versteckt gehalten hatte. Ein grauenhaftes Wesen, einen Geist, der von Menschen Besitz ergreift, der in die Seele hineindrängt und die Psyche verändert.« Er begann zu flüstern und betonte jedes einzelne Wort besonders intensiv. »Ich verspürte Angst, Sinclair. Eine verdammte, hündische Angst um mein Leben.«
Da er nicht weitersprach, übernahm ich wieder das Wort. »Dann haben Sie die Harfe in die Ecke gestellt?«
»Ja, ich rührte sie nicht mehr an. Ich wollte sie nicht haben. Ich haßte sie plötzlich.«
»Aber Sie haben das Instrument verkauft.«
»Unter Preis.«
»Das spielt jetzt keine Rolle. Jedenfalls sind Sie es losgeworden.«
Archer wischte über seine Lippen. »Sie glauben gar nicht, wie stark mich mein Gewissen dabei geplagt hat. Das können Sie sich nicht vorstellen. Als Mrs. Saler mit der Harfe wegging, da wußte ich, daß ich etwas falsch gemacht
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