Der Angstmacher
Möglichkeit finden, zu dir zu kommen. Wo ich hin will, da komme ich auch hin, das kann ich dir versprechen. Bis später, Süße.« Fast fluchtartig verließ er das Zimmer. Seine Schritte verklangen draußen auf dem Gang.
Sally Saler blieb mit ihrer Wut und auch mit ihrem Haß allein zurück. Die kippen lagen so fest aufeinander, daß sie einen Strich bildeten. Dann nickte sie. »Warte, Jens Andersen, das hast du nicht umsonst getan. Du wirst diese Nacht erleben, aber anders, als du es dir je vorgestellt hast. Mein Versprechen gilt auch.«
Dann dachte sie darüber nach, daß sie ihm gesagt hatte, sie würde nicht erscheinen.
Weshalb eigentlich nicht? Klar, sie wollte hingehen. Die anderen sollten nicht ohne sie feiern, und sie würde sich sogar zu Jens Andersen setzen, um ihn für die Nacht vorzubereiten.
Wieder streichelte sie ihre Harfe. »Keine Angst«, flüsterte sie, »keine Angst… gemeinsam schaffen wir es…«
Und ihr war, als würde ihr das Gesicht zwischen den Saiten zunicken und zugrinsen…
***
Es ging schon hoch her, als Sally Saler eine Stunde später den Partyraum im Untergeschoß betrat.
Alle zehn Musiker waren versammelt. Niemand hatte sich ausgeschlossen, und als Sally an der Für erschien, wurde sie mit großem Hallo begrüßt.
Es war eine laue sommerliche Nacht. Die Tür zum Garten hin stand offen, man pendelte zwischen dem Partyraum und einem Platz im Freien.
Der Dirigent war nicht da. Er hatte noch in Kommern zu tun, weil er sich dort mit den Honoratioren des Ortes verabredet hatte. Zwei junge Männer waren dabei, Bierflaschen zu öffnen und sie auf ein Tablett zu stellen.
»Du auch, Sally?«
»Klar!«
Ihr wurde eine Flasche zugeworfen, die sie geschickt auffing. Aus der Öffnung schoß eine Schaumfontäne hoch. Die Jungen lachten. »Bit aus Bitburg, das ist besonders gut.«
»Danke.«
»Ich dachte, du wolltest nicht kommen.« Gérard Dubois, ein Junge aus Reims, hatte sie angesprochen. Er war kleiner als sie und trug einen kessen dunklen Oberlippenbart.
»Ich habe es mir eben anders überlegt.«
»Gut, dann hat Andersen eine Wette verloren.«
»Wieso?«
»Er hat um eine Flasche Whisky gewettet, daß du nicht kommen würdest.«
»Sein Pech.«
Gérard legte eine Hand gegen ihren Rücken. »Komm mit nach draußen, da ist es besser.«
»Gut.«
Man staunte nicht schlecht, als Sally erschien. Die Mitglieder des Orchesters hatten es sich bequem gemacht. Sie hockten auf leeren Bierkisten unter den starken Ästen und Zweigen der hinter dem Haus wachsenden Obstbäume. Kleine Gartenlichter hatte man ebenfalls besorgt. Die Flammen brannten hinter Glaskuppeln oder Zylindern. Jens Andersen hätte sich fast an einem Schluck Bier verschluckt, als er Sally Saler sah. Er spie den Rest ins Gras und stemmte sich hoch. »Das… das gibt es doch nicht!« keuchte er und fing an zu lachen. »Bist du es wirklich, Süße?«
»Ja.«
»Ha!« schrie die zierliche Anni Beckers, die neben Jens saß und aus ihrem Zimmer ausgezogen war. »Du hast die Wette verloren, Jens Andersen. Das kostet dich eine Flasche Whisky.« Sie strich das lange Haar zurück, die Augen hinter den Brillengläser funkelten.
»Das habe ich.« Er grinste. »Und die Flasche zahle ich auch gern.« Jens streckte Sally einen Arm entgegen. »Komm zu mir, Täubchen. Du hast mich überrascht.«
Nach diesen Worten konnte er sich noch mehr wundern, denn Sally kam tatsächlich zu ihm. »Hast du noch einen Platz frei?« fragte sie.
»Klar.« Er bückte sich und schleifte eine Bierkiste heran. Ganz nüchtern war er nicht mehr. Sein Grinsen fiel dümmlich aus, und in den Augen las Sally einen bestimmten Ausdruck.
»Ah, wie ich sehe, hast du dir deine Flasche gleich mitgebracht. Das ist gut.« Er stieß mit seiner halbleeren gegen die noch volle des Mädchens.
»Prost, sagt man hier.«
»Salute, skäl, cheers…« In allen Sprachen wurden Trinksprüche gerufen, und auch Sally nahm einen Schluck Bier. Allerdings hatte sie sich geschworen, daß es die erste und die letzte Flasche bleiben würde. Sie wollte nüchtern bleiben.
Die einzelnen Mitglieder des Orchesters nahmen wieder ihre Plätze ein. Natürlich klebte Jens Andersen fast an der hochgewachsenen, blonden Sally, die es auch geschehen ließ, daß der junge Mann einen Arm um ihre Schultern legte und seinen Mund so dicht an ihr Ohr brachte, um ihr den Bieratem von der Seite her gegen das Gesicht zu blasen. »Hast du über meine Worte nachgedacht, Süße?«
»In der Tat.«
»Das
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