Der Angstmacher
noch draußen. Auch sie mußte den Kopf einziehen, um sich nichtan den Balken zu stoßen. Die Küche war relativ groß. In einem solchen Raum hatte sich früher die Bauernfamilie versammelt. Der Kamin war ebenso vorhanden wie ein klobiger Tisch mit ebenfalls klobig wirkenden Stühlen, die schmale Sitzflächen besaßen. Ein alter Schrank und ein Regal standen an der Wand.
Sie setzte sich an den lisch und wartete, bis die Dämmerung hereinbrach.
Es war still geworden. Sally hörte ihren eigenen Atem, sie spürte den Schweiß auf der Stirn. Obwohl sie es nicht wollte, bewegte sie ihre Hände, schloß sie zu Fäusten oder ötfnete sie.
Sie wußte genau, daß diese Nacht entscheidend werden würde. Sinclair oder Schaazar?, so lautete die Frage. Der alte Geist wollte es so haben und war auf telepathischem Wege mit ihr in Kontakt getreten. Sally wußte genau, was sie alles tun mußte.
Als sie glaubte, daß genügend Zeit vergangen war, erhob sie sich und verließ das Haus. Neben ihrer Harfe blieb sie für einen Moment stehen, dann griff sie in die Saiten.
Ein leiser Akkord schwang in die Freiheit. Die Saiten zitterten und bewegten sich aufeinander zu, als wollten sie sich gegenseitig berühren. Plötzlich begann es in den Zwischenräumen zu leuchten. Ein grünliches Flimmern, das diesmal nicht verschwand, sich verdichtete. Die Fratze entstand!
Ein häßliches Gesicht mit schiefen Proportionen. Widerlich anzusehen, grausam und kalt. Sie spielte weiter…
Dann stieg das Gesicht plötzlich in die Höhe. Es verlängerte sich und bekam Ähnlichkeit mit dem Schweif eines Kometen. Gesicht und Gestalt hingen zusammen und stiegen hinauf in den dunkler werdenden Himmel. Schaazar war wieder frei!
Und Sally lächelte. Sie wußte jetzt, daß sie nicht mehr allein stand, denn ihr Beschützer, der sich bisher nur sporadisch gezeigt hatte, würde nun direkt eingreifen können und die große Todesangst über die Menschen bringen.
Noch einmal schlug sie einen Akkord. Die Klänge wehten in die Höhe und schienen den Geist weiterzutragen.
Dann war es vorbei!
Sally stand neben der Harfe, schaute auf die Saiten und bemerkte, daß sie sich verändert hatten. Sie schimmerten nicht mehr und hatten die normale Farbe angenommen, wie sie bei jedem Musikinstrument üblich war. Jetzt hatte sie Mühe, die Harfe in das alte Bauernhaus zu tragen. Sie nahm wieder ihren alten Platz ein und spürte die harte Sitzfläche des Stuhls. Bequem hatten die Menschen früher nicht gesessen. Jetzt brauchte sie nur noch zu Warten. Sally hatte sich gut in die Lage ihres Gegners hineinversetzen können. Sie wußte, daß der Engländer sie suchen würde, und sie hatte ihm sogar zwei Hinweise hinterlassen, die ihn sicherlich ärgerten.
Er würde auf dem Gelände bleiben und sie suchen, auch wenn es die ganze Nacht über dauerte.
Sally Saler hatte sich so hingesetzt, daß sie direkt auf die offene Tür schauen und auch einen Teil des Geländes überblicken konnte. Wenn Sinclair kam, würde sie ihn schon ziemlich früh sehen. Er ließ sich Zeit.
Draußen hatten die Vögel ihr Abendkonzert angestimmt. Aber nicht in unmittelbarer Nähe, sondern weiter entfernt. Die Tiere schienen bemerkt zu haben, daß etwas frei geworden war, das einfach nicht in diese Gegend hineinpaßte.
Das Böse war da…
Sally spürte es nicht. Der Geist nahm keinen Kontakt zu ihr auf. Wahrscheinlich mußte er sich mit seiner neuen Freiheit vertraut machen. Aber er würde sich zeigen und damit beweisen, daß es sich bei ihm um kein Hirngespinst handelte.
Sie wollte nicht mehr länger warten. Es war mittlerweile dunkel genug geworden. Sicherlich hatte John Sinclair die Hinweise gefunden und befand sich auf dem Weg zu ihr.
Sie lächelte, als sie an den Angstmacher dachte. Sinclair sollte ruhig kommen. Er würde seine Überraschung schon erleben. Und nicht nur er, denn jetzt konnte sie ihre volle Kraft ausspielen. Diese Nacht würde sie zu einer Orgie des Schreckens werden lassen.
Noch einmal strich sie mit sanften Berührungen über das Holz der Harfe. Dann nickte sie sich selbst zu, als wollte sie sich damit ein Startzeichen geben.
Im nächsten Augenblick begann sie ihr lockendes Spiel…
***
In Gérard Dubois' Zimmer hatten sich die restlichen Musiker versammelt. Sie waren nur noch zu acht, und der kleine Kaum war voll. Irgendwie hatten sie alle einen Platz gefunden, saßen da und schwiegen sich an. Sie hatten sich etwas zu sagen, nur war niemand da, der sich traute, den Mund
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