Der Angstmacher
»Aber sind auch seine Gesichtszüge kommentiert worden?«
»Ja!« erwiderte der Dirigent fest. »Darüber haben sich die Beamten sehr gewundert. Eine Erklärung hatten sie natürlich nicht.«
»Sie hängt jedenfalls mit der Harfe und Sally Saler zusammen.« Ich räusperte mich. »Ihr werde ich jetzt einen Besuch abstatten, denn ich habe bei ihr noch eine Rechnung offen.«
»Was denn?«
»Das erzähle ich Ihnen später. Kümmern Sie sich am besten um Ihre Schützlinge. Sie sollen, wenn eben möglich, die nächsten Stunden hier im Hause verbringen.«
»Sie meinen die Nacht?«
»Ja.«
»Gut, werde ich ihnen sagen.« Er schaute sich unbehaglich um. »Soll ich Sie denn begleiten?«
»Nein, Herr Dr. Kimmler, das wird nicht nötig sein. Ich habe das Mittel, um mit Sally Saler fertig zu werden.«
Dr. Kimmler hielt mich am Arm zurück. »Ist sie denn tatsächlich so gefährlich?«
»Ja, sie kennt kein Pardon. Selbst bei ihrer eigenen Mutter hat sie keine Rücksicht genommen.«
»Soll das heißen…?« Er ging einen Schritt zurück. »Soll das heißen, daß etwa die Tochter die Mutter…?«
»Indirekt getötet hat — jawohl.«
Dr. Kimmler konnte es nicht fassen. »In welch einer Welt leben wir!« flüsterte er, »so etwas ist nicht zu begreifen. Die Tochter die Mutter. Das… das…«
»Ich werde sie stellen.«
»Und töten?«
Mit dieser Frage hatte er mich überrascht. »Nein«, erwiderte ich nach einer Weile. »Nicht töten. Wenn es sich eben vermeiden läßt, muß sie am Leben bleiben. Man kann Sally nicht einmal für ihre Taten verantwortlich machen, denn sie steht unter dem Einfluß einer uralten düsteren Gewalt.«
»Ja, sie sprachen von einem Fluch.«
»So ist es. Ich schätze, daß wir die Angelegenheit in einer Viertelstunde erledigt haben.«
»Hoffentlich.«
Sehr optimistisch stieg ich die Treppe hoch und ließ Dr. Kimmler stehen. Diesmal würde mir nichts mehr dazwischenkommen. Schon beim ersten Versuch hatte ich gesehen, daß Sally Saler allergisch auf das Kreuz reagierte. Sie mußte dessen Ausstrahlung gespürt haben oder das Wesen, das in der Harfe steckte.
Im Gang traf ich auf einen dunkelhaarigen jungen Mann mit Oberlippenbart. »Suchen Sie jemand?« fragte er.
»Nein, ich weiß Bescheid.«
»Sally, wie?«
»Richtig.«
Er verengte die Augen. »Was wollen Sie eigentlich von ihr?« fragte er leise. »Lassen Sie das Mädchen in Ruhe. Es hat Ihnen nichts getan.«
»Bitte gehen Sie in Ihr Zimmer.«
»Ich lasse mich doch von Ihnen…« Er regte sich auf, sprach jedoch nicht weiter, mein eisiger Blick hatte ihm gereicht. Er verschwand in einem Raum und schloß die Tür leise hinter sich zu. Jemand spielte Violine. Es war eine traurige Melodie, die durch den Gang wehte und bei mir eine Gänsehaut auf dem Rücken hinterließ. Ich stieß auf, ohne anzuklopfen, sah in einen Raum, in der zwei Dinge fehlten.
Sally Saler und die Harfe!
»Schon zurück?« fragte Dr. Kimmler erstaunt, als ich ihn im Aufenthaltsraum traf.
»Ja.«
»Und Sally?«
»Sie ist verschwunden.« Ich nahm an einem Tisch Platz, stützte den rechten Ellbogen auf und strich durch mein Haar. »Nicht mir sie. Ihre Harfe hat sie mitgenommen.« Ich schlug mit der flachen Hand aul die Tischplatte. »Verdammt, ich hätte damit rechnen müssen und sie nicht aus den Augen lassen dürfen.«
Dr. Kimmler nickte, obwohl er es nicht so meinte. Er malte mit der Fingerspitze Kreise auf die Tischplatte. »Wo kann sie denn sein?«
Ich deutete nach draußen. »Das Gelände hier ist erstens groß und zweitens unübersichtlich. Soll ich Ihnen die Verstecke aufzählen, die Sally benutzen kann?«
»Um Himmels willen, das brauchen Sie nicht. Es hat keinen Sinn. Ich kann mir das schon vorstellen. Nur muß sie einen Grund gehabt haben, das Weite zu suchen.«
»Der werde ich wohl sein.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Ich habe das Gefühl, daß Sally Saler in mir einen kompetenten Gegner gesehen hat. Möglicherweise hat sie Furcht bekommen. Furcht kann oft unberechenbar machen. Ich gehe unter anderem davon aus, daß sie durchdrehen wird.«
»Wie meinen Sie das genau?«
»Sie wird auf ihrer verfluchten Harfe spielen und somit das Böse, das in diesem Instrument steckt, hervorholen. Dann ist keiner seines Lebens mehr sicher.«
Dr. Kimmler starrte mich an, als wäre ich nicht recht bei Trost. »Was schlagen Sie dann vor?«
»Am besten wäre es, wenn Sie und Ihre Schüler verschwinden. Glauben Sie mir, es ist die Chance!«
»Nein, das kann ich
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