Der Anruf kam nach Mitternacht
dir seine Anteilnahme ausdrücken soll. Aber es geht uns allen wirklich sehr nahe, Sarah.«
Sarah nickte dankbar. »Oh Abby, ich weiß, dass es euch leidtut.« Traurig blickte sie sich im Raum um. »Aber ich dachte, es sei das Beste, wieder zur Arbeit zurückzukommen.«
»Manche Menschen brauchen die gewohnte Arbeit, andere müssen eine Zeit lang Ruhe haben.«
»Vielleicht sollte ich das tun, eine Weile aus Washington wegfahren. Weg von all den Orten, die mich an ihn erinnern …« Sarah schluckte, als der Schmerz sie erneut zu überkommen drohte, und versuchte ein Lächeln. »Meine Schwester hat mich zu sich nach Oregon eingeladen. Weißt du, ich habe meinen Neffen und meine Nichten schon jahrelang nicht mehr gesehen. Sie sind bestimmt sehr gewachsen.«
»Dann fahr doch. Sarah, es ist nicht einmal zwei Wochen her! Du musst die Zeit verstreichen lassen. Fahr zu deiner Schwester und wein dich richtig aus.«
»Ich habe viel zu viele Tage geweint. Ich habe zu Hause gesessen und mich gefragt, wie ich das alles durchstehen werde. Ich kann es noch immer nicht ertragen, seine Sachen im Schrank hängen zu sehen.« Sarah schüttelte den Kopf. »Es ist nicht allein die Tatsache, ihn verloren zu haben, die so schmerzt. Es ist der Rest …«
»Du meinst die Sache mit Berlin?«
Sarah nickte. »Ich werde verrückt, wenn ich noch länger darüber nachdenke. Deshalb bin ich heute Abend hergekommen – um mich von der ganzen Geschichte abzulenken. Ich fand es an der Zeit, mich wieder zu beschäftigen.« Sie starrte den Stapel Laborbücher neben ihrem Mikroskop an. »Aber es ist eigenartig, Abby. Ich bin immer gern hier gewesen, doch ich kann mir jetzt plötzlich nicht mehr vorstellen, den Rest meines Lebens in diesem Labor zu arbeiten. Geoffrey und ich hatten so wenig Zeit miteinander! Drei Tage für unsere Hochzeitsreise, das war alles. Und jetzt werden wir nie wieder eine Gelegenheit haben.«
Seufzend ging Sarah an ihren Sitzplatz zurück und knipste die Mikroskoplampe aus. Leise fügte sie hinzu: »Und ich werde wahrscheinlich nie richtig erfahren, warum er …« Sie setzte sich hin, ohne ihren Satz zu beenden.
»Hast du noch etwas vom Außenministerium gehört?«, fragte Abby nach einer Weile.
»Dieser Mann hat gestern wieder angerufen. Die Polizei in Berlin hat die … die Leiche endlich freigegeben. Sie trifft morgen hier ein.« Sarahs Augen füllten sich mit Tränen. Sie senkte den Kopf und versuchte, das Weinen zu unterdrücken. »Die Beerdigung findet am Freitag statt. Kommst du?«
»Natürlich werde ich da sein. Wir kommen alle. Ich werde dich hinfahren, einverstanden?« Abby kam zu der Freundin und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Alles ist noch so frisch, Sarah. Du hast allen Grund zu weinen.«
»Um seinen Tod sind so viele Umstände, die ich nie begreifen werde, Abby. Dieser Mann vom Außenministerium – er bedrängte mich nach Erklärungen, und ich konnte ihm keine einzige geben. Oh, ich weiß, er macht nur seinen Job, aber er hat diese Möglichkeiten angedeutet, die mir seither nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich habe angefangen, mir über Geoffrey Gedanken zu machen. Mehr und mehr.«
»Du bist ja nicht so lange verheiratet gewesen, Sarah. Mein Mann Heck und ich waren dreißig Jahre miteinander verheiratet, ehe wir uns trennten, und ich bin bei dem Kerl nie ganz durchgestiegen. Es ist doch nicht überraschend, dass du von Geoffrey nicht alles gewusst hast, was es zu wissen gab.«
»Aber er war mein Mann!«
Abby schwieg einen Moment, ehe sie zögernd sagte: »Weißt du, Sarah, da war immer etwas an ihm … Ich meine, ich hatte nie den Eindruck, ihn richtig kennenlernen zu können.«
»Er war zurückhaltend, Abby.«
»Nein, das war nicht nur Zurückhaltung. Mir schien, als wolle er nichts von sich preisgeben. Als ob …« Sie sah Sarah an. »Ach, es ist nicht wichtig.«
Doch Sarah dachte bereits über Abbys Worte nach. An ihrer Beobachtung war etwas Wahres dran. Geoffrey war ein zurückhaltender Mensch gewesen, der sich nicht gern auf längere oder aufschlussreichere Gespräche einließ. Er hatte auch nie viel über sich selbst gesprochen. Stets hatte er mehr Interesse an ihrer Person gezeigt – an ihrer Arbeit, an ihren Freunden. Dieses Interesse hatte sehr schmeichelhaft auf sie gewirkt, als sie sich kennenlernten. Von allen Männern, die sie gekannt hatte, war Geoffrey der Erste, der ihr wirklich zugehört hatte.
Dann tauchte plötzlich aus unerfindlichen Gründen ein anderes Gesicht vor ihr
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