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Der Anruf kam nach Mitternacht

Der Anruf kam nach Mitternacht

Titel: Der Anruf kam nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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traust du doch?«
    Sarah blickte in Abbys breites, regennasses Gesicht und lächelte. »Dir? Natürlich.«
    »Gut. Wenn du erst einmal in mein Alter kommst, wirst du sehen, dass es alles …« Plötzlich blieb Abby wie angewurzelt stehen und sah angestrengt in den Nebel. Sarah folgte ihrem Blick.
    Durch die Dunstschleier kam ein Mann auf sie zu.
    Sarah sah auf sein windzerzaustes Haar und den grauen Regenmantel, von dem die Wassertropfen herunterperlten. Er musste schon lange draußen gestanden haben, wahrscheinlich die ganze Beerdigung über. Die Kälte hatte sein Gesicht gerötet.
    »Mrs. Fontaine?«, sprach er sie an.
    »Hallo, Mr. O’Hara.«
    »Entschuldigen Sie, ich weiß, es ist ein unpassender Augenblick, aber ich versuche seit zwei Tagen, Sie zu erreichen. Sie haben auf meine Anrufe nicht reagiert.«
    »Nein«, bestätigte Sarah, »das habe ich nicht.«
    »Ich muss mit Ihnen sprechen. Es hat einige neue Entwicklungen gegeben, und ich meine, Sie sollten davon wissen.«
    »Sarah, wer ist denn dieser Mann?«, wollte Abby wissen.
    Nick wandte sich an die ältere Frau. »Ich bin Nick O’Hara vom Außenministerium. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern einen Moment allein mit Mrs. Fontaine sprechen.«
    »Aber vielleicht will sie nicht mit Ihnen sprechen.«
    Er wandte sich wieder an Sarah. »Es ist wichtig.«
    Etwas an der Art, wie er sie so entschlossen anschaute, brachte Sarah dazu, ihre Meinung zu ändern. Eigentlich hatte sie nie wieder mit ihm sprechen wollen. Während der letzten zwei Tage hatte ihr Anrufbeantworter sein halbes Dutzend Anrufe registriert, und sie hatte sie allesamt ignoriert. Geoffrey war tot und begraben, dieser Schmerz reichte. Und Nick O’Hara würde mit seinen unbeantworteten Fragen gewiss alles nur noch schlimmer machen.
    »Bitte, Mrs. Fontaine.«
    Schließlich nickte Sarah. Mit einem Blick auf Abby sagte sie: »Ist schon in Ordnung.«
    »Nun, du kannst nicht plaudernd hier draußen herumstehen. Demnächst wird es schütten.«
    »Ich kann sie nach Hause fahren«, sagte Nick zu Abby. Bei ihrem argwöhnischen Blick lächelte er. »Wirklich, vertrauen Sie mir. Ich werde mich um sie kümmern.«
    Abby schloss Sarah ein letztes Mal in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich werde dich heute Abend anrufen, Liebes. Lass uns morgen zusammen frühstücken.« Dann drehte sie sich sichtlich widerstrebend um und ging auf ihren Wagen zu.
    »Sie müssen frieren«, sagte Nick. »Lassen Sie mich Sie nach Hause bringen.«
    Sanft nahm er Sarahs Arm und führte sie zu seinem Volvo. Sie stiegen ein, und Nick ließ den Wagen an. Ein warmer Luftstrom kam aus der Heizung und wärmte sie beide, während sie langsam die gewundene Straße vom Friedhof herunterfuhren.
    »Heute Morgen sah das Wetter noch recht gut aus«, sagte Sarah und blickte in den trüben Regen hinaus.
    »Unberechenbar, wie alles andere auch.«
    Nick bog sanft auf den nach Washington führenden Highway ein. Er war ein ruhiger Fahrer, seine Hände lagen fest um das Lenkrad. Er war ein Mensch, der gewiss nie ein Risiko einging. Die Wärme tat Sarah gut, und sie kuschelte sich in ihren Sitz.
    »Warum haben Sie mich nicht zurückgerufen?«, fragte Nick.
    »Es war unhöflich von mir. Es tut mir leid.«
    »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Warum haben Sie nicht zurückgerufen?«
    »Weil ich wahrscheinlich keine neuen Vermutungen über Geoffrey hören wollte – oder über seinen Tod.«
    »Selbst wenn es sich um Fakten handeln sollte?«
    »Sie haben mir keine Fakten geliefert, Mr. O’Hara. Sie haben sich das nur zusammengereimt.«
    Nick sah grimmig auf die vor ihm liegende Straße. »Ich reime mir nichts mehr zusammen, Mrs. Fontaine. Ich habe jetzt die Tatsachen. Alles, was mir fehlt, ist ein Name.«
    »Wovon sprechen Sie?«
    »Von Ihrem Mann. Sie sagten, Sie hätten Geoffrey Fontaine vor sechs Monaten in einem Café kennengelernt. Sie müssen sich Hals über Kopf in ihn verliebt haben, denn immerhin waren Sie schon vier Monate später verheiratet. Richtig?«
    »Ja.«
    »Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, aber Geoffrey Fontaine – der richtige Geoffrey Fontaine – starb vor zweiundvierzig Jahren, und zwar als Kind.«
    Sarah glaubte sich verhört zu haben. »Ich verstehe nicht …«
    Nick sah sie nicht an, sondern hielt beim Sprechen den Blick auf die Straße geheftet. »Der Mann, den Sie geheiratet haben, hat den Namen eines verstorbenen Kindes angenommen. Das geht ganz leicht. Man sucht sich den Namen

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