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Der Anruf kam nach Mitternacht

Der Anruf kam nach Mitternacht

Titel: Der Anruf kam nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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darin das unvermeidliche Erschrecken zu entdecken. Selbst Kronen, der für ihn fast wie ein Sohn geworden war, sah absichtlich irgendwo anders hin. Aber junge Menschen aus Kronens Generation machten ohnehin viel zu viel Aufhebens um Äußerlichkeiten.
    »Ich nehme an, in Basra ist alles gut gegangen«, sagte der alte Mann.
    »Ja. Geringfügige Verzögerungen, sonst nichts. Und dann gab es Probleme mit der letzten Lieferung … die Computerchips im Zielmechanismus … Eine der Raketen klinkte nicht ein.«
    »Wie dumm.«
    »Ja. Ich habe darüber bereits mit dem Hersteller gesprochen.«
    Sie schlenderten den Weg von den Rosensträuchern zum Ententeich hinunter. Die kalte Luft ließ die Kehle des Alten rau werden. Er wickelte sich den Schal enger um den Hals und hüstelte. »Ich habe einen neuen Auftrag für dich«, sagte er. »Eine Frau.«
    Kronen blieb plötzlich interessiert stehen. Im Sonnenlicht wirkten seine Haare fast weiß. »Wo ist sie?«
    »Sie heißt Sarah Fontaine. Geoffrey Fontaines Frau. Ich möchte, dass du herausfindest, welche Verbindungen sie hat.«
    Kronen runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht. Man sagte mir, Fontaine sei tot.«
    »Beschatte sie trotzdem. Mein amerikanischer Informant ließ mich wissen, sie habe ein kleines Apartment in Georgetown. Sie ist Mikrobiologin und zweiunddreißig Jahre alt. Außer durch ihre Heirat hat sie keine offensichtlichen Verbindungen mit dem Geheimdienst. Aber da kann man nie sicher sein.«
    »Kann ich mit diesem Informanten Kontakt aufnehmen?«
    »Nein. Seine Stellung ist zu – prekär.«
    Kronen nickte und ließ umgehend das Thema fallen. Er hatte lange genug für den alten Mann gearbeitet, um zu wissen, wie solche Dinge gehandhabt wurden. Jeder hatte sein eigenes Gebiet, sein eigenes kleines Reich, in dem er tätig war. Man durfte nie versuchen, seine Grenzen zu überschreiten. Selbst Kronen, sosehr man ihm auch vertraute, sah nur einen kleinen Teil des Ganzen. Lediglich der Alte überblickte alles.
    Sie gingen gemächlich am Ufer des Teiches entlang, dessen Wasser eine trübe graue Farbe angenommen hatte. Wo war auf einmal die Sonne? Ohne Kronen anzusehen, sagte der Alte: »Ich möchte alles über diese Frau wissen. Reise sofort ab.«
    »Natürlich.«
    »Sei vorsichtig in Washington. Wie ich höre, ist die Verbrechensrate dort scheußlich gestiegen.«
    Kronen lachte, als er sich zum Gehen wandte. »Tot ziens, meneer.«
    Der alte Mann nickte. »Bis bald.«
    Das Laboratorium, in dem Sarah arbeitete, war makellos. Alle Mikroskope waren blitzblank, die Arbeitsflächen und Abflussbecken wurden wiederholt desinfiziert, und die Brutkammern wurden zweimal täglich gereinigt. Nirgendwo gab es ein Fenster, sodass man überall bei Kunstlicht arbeitete. Ob draußen Mittag oder Mitternacht war, hier drinnen wusste man das nie. Außer dem Summen des Kühlschrankes herrschte Totenstille im Labor.
    Im Korridor näherten sich die klappernden Schritte einer Frau. Die Tür wurde aufgestoßen.
    »Sarah? Was machst du denn hier?«
    Sarah drehte sich zu ihrer Freundin Abby Hicks um, die mit ihrer Körpergröße fast ganz den Türrahmen ausfüllte.
    »Ich hole nur ein bisschen Arbeit auf«, erklärte Sarah. »Seit ich fort war, hat sich so viel aufgetürmt …«
    »Um Himmels willen, Sarah! Das Labor kommt auch ohne dich für ein paar Wochen aus. Es ist schon acht Uhr. Ich kümmere mich um die Kulturen. Geh nach Hause.«
    Sarah schloss den Kasten mit den Objektträgern.
    »Ich weiß nicht, ob ich wirklich nach Hause möchte«, murmelte sie. »Da ist es mir zu still. Ich glaube, ich bin lieber hier.«
    »Na hör mal, das Labor ist nicht gerade ein Tollhaus. Hier herrscht so viel Leben wie auf einem Friedhof …« Sofort biss sich Abby errötend auf die Unterlippe. Selbst im Alter von fünfundfünfzig Jahren konnte Abby noch rot werden wie ein Schulmädchen.
    »Entschuldige den Ausdruck«, murmelte sie verlegen.
    Sarah lächelte. »Das macht nichts, Abby.«
    Einen Moment lang sagte keine der beiden Frauen etwas. Sarah stand auf und öffnete den Inkubator, um den Objektträger, an dem sie gerade gearbeitet hatte, hineinzutun.
    »Wie geht es dir denn?«, fragte Abby dann leise.
    Sarah schloss den Inkubator, nachdem sie das Glasscheibchen hineingetan hatte. Seufzend drehte sie sich um und sah ihre Freundin an. »Ich komme zurecht, danke, Abby.«
    »Wir alle haben dich vermisst. Aber ich glaube, jeder fürchtete sich ein wenig davor, dich anzurufen. Keiner von uns weiß so recht, wie er

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