Der Anschlag - King, S: Anschlag
war.
»Schönen Tag noch«, wünschte ich dem Fahrer, als er den Hebel zum Türöffnen betätigte.
»An dieser Strecke gibt’s nichts Schönes außer einem kalten Bier nach Dienstschluss«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an.
Einige Sekunden später stand ich mit meiner Aktentasche in der linken Hand auf dem Kiesbankett am Straßenrand und sah dem Bus nach, der in Richtung Lewiston weiterrumpelte und dabei Auspuffqualm hinter sich her zog. An seinem Heck war eine Werbetafel angebracht, auf der eine Hausfrau einen blitzblanken Kochtopf in der einen und einen Magischen Topfreiniger der Marke S.O.S. in der anderen Hand hielt. Ihre riesigen, blauen Augen und das zähnefletschende Lippenstiftgrinsen ließen an eine Frau denken, die nur Minuten von einem katastrophalen Nervenzusammenbruch entfernt war.
Der Himmel war wolkenlos. Im hohen Gras zirpten Grillen. Irgendwo muhte eine Kuh, und als die leichte Brise den Dieselgestank weggeweht hatte, roch die Luft süß und frisch und unverbraucht. Ich machte mich auf den ungefähr eine Viertelmeile langen Weg zum Tamarack-Autohof. Nur ein kurzer Spaziergang, aber bevor ich mein Ziel erreichte, hielten zwei Autofahrer neben mir und boten mir an, mich mitzunehmen. Ich bedankte mich und sagte, das sei nicht nötig. Als ich den Autohof erreichte, pfiff ich vor mich hin.
September 1958, Vereinigte Staaten von Amerika.
Gelbe-Karte-Mann hin oder her, es war schön, wieder hier zu sein.
2
Ich verbrachte den Rest dieses Tages in meinem Motelzimmer, arbeitete Als Notizen über Oswald zum x-ten Mal durch und konzentrierte mich diesmal besonders auf die beiden letzten Seiten unter der Überschrift SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜRS WEITERE VORGEHEN . Fernsehen zu wollen, wenn es im Prinzip nur ein Programm gab, wäre absurd gewesen, also schlenderte ich in der Abenddämmerung zum Autokino hinüber und zahlte den ermäßigten Eintritt von 30 Cent für Fußgänger. Vor der Snackbar waren Klappstühle aufgestellt. Ich kaufte mir eine Tüte Popcorn und eine wohlschmeckende Limonade mit Zimtgeschmack, die Pepsol hieß, und sah mir Der lange heiße Sommer an, gemeinsam mit mehreren weiteren Fußgängern – meist ältere Leute, die sich kannten und sich munter unterhielten. Als Vertigo – Aus dem Reich der Toten begann, war es kühl geworden. Weil ich keine Jacke anhatte, ging ich zum Autohof zurück, wo ich traumlos einschlief.
Am folgenden Morgen nahm ich den Bus nach Lisbon Falls (diesmal kein Taxi; ich musste sparen, zumindest vorläufig) und besuchte als Erstes den Jolly White Elephant. Zu dieser frühen Zeit war es noch kühl, weshalb der Beatnik drinnen war. Er saß auf einem mottenzerfressenen Sofa und las das Groschenheft Argosy.
»Hallo, Nachbar«, sagte er.
»Selber hallo. Sie verkaufen wohl auch Koffer?«
»Oh, ich hab ein paar auf Lager. Knapp zwei-, dreihundert, würd ich sagen. Ganz hinten rechts. Ganz hinten …«
»Rechts«, ergänzte ich.
»Genau. Waren Sie schon mal hier?«
»Wir waren alle schon mal hier«, sagte ich. »Diese Sache ist bedeutender als Profifootball.«
Er lachte. »Groovy, Jackson. Suchen Sie sich ’nen Sieger aus.«
Ich nahm denselben Lederkoffer. Dann ging ich über die Straße und kaufte wieder den Sunliner. Diesmal feilschte ich hartnäckiger und bekam ihn für dreihundert. Als wir uns einig geworden waren, schickte Bill Titus mich zu seiner Tochter hinüber.
»Sie reden nicht so, als wären Sie von hier«, sagte sie.
»Ursprünglich aus Wisconsin, aber ich bin schon längere Zeit in Maine. Geschäftlich.«
»Sie waren gestern wohl nicht in The Falls, was?« Als ich verneinte, ließ sie ihren Bubblegum platzen und sagte: »Da haben Sie einiges an Aufregung verpasst. Neben dem Trockenschuppen drüben in der Fabrik ist ein alter Kerl tot aufgefunden worden.« Sie senkte die Stimme. »Selbstmord. Hat sich die Kehle mit einer Glasscheibe durchgeschnitten. Können Sie sich das vorstellen?«
»Wie schrecklich«, sagte ich und steckte die Quittung für den Sunliner in meine Geldbörse. Ich warf die Autoschlüssel hoch und fing sie wieder auf. »Von hier?«
»Nein, und er hatte auch keinen Ausweis. Wahrscheinlich ist er mit ’nem Güterwagen aus der County gekommen, das sagt jedenfalls mein Dad. Vielleicht zum Apfelpflücken in Castle Rock. Mr. Cady – das ist der Verkäufer im Greenfront – hat meinem Dad erzählt, dass der Kerl gestern Morgen reingekommen ist und eine Flasche Schnaps kaufen wollte, aber er war betrunken und hat so
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