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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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doppelt sehen. Als das Zimmer wieder klare Konturen hatte, deutete ich auf ein Foto, das Harry mit ungefähr fünfzig zeigte. Er saß bereits im Rollstuhl, aber er sah heil und gesund aus, zumindest von der Taille an aufwärts; die Hosenbeine seines Anzugs bauschten sich über jammervoll dünnen Beinen. Neben ihm stand eine Frau in einem rosa Kleid, das mich an Jackie Kennedys Kostüm am 22. November 1963 erinnerte. Ich dachte daran, wie meine Mutter mich ermahnt hatte, Frauen, die nicht schön waren, niemals »unscheinbar« zu nennen; sie hätten, sagte sie, ein »gutes Gesicht«. Diese Frau hatte eines.
    »Ihre Frau?«
    »Und ob. Diese Aufnahme ist bei unserer Silberhochzeit gemacht worden. Zwei Jahre später ist sie gestorben. Solche Fälle passieren immer häufiger. Die Politiker erzählen einem, dass daran die Atombomben schuld sind – seit Hanoi Hell im Jahr 1969 sind weltweit acht- oder neunundzwanzig eingesetzt worden. Das schwören sie, bis sie blau anlaufen, aber dabei weiß jeder, dass die Geschwüre und der Krebs hier oben im Norden erst seit der Kern schmelze im Vermont Yankee wirklich schlimm geworden sind. Zu der kam’s, nachdem es schon jahrelang Proteste gegen das Atomkraftwerk gegeben hatte. ›Oh‹, haben sie gesagt, ›in Vermont gibt’s keine starken Erdbeben, nicht hier oben in Gottes Königreich, nur gewöhnliche kleine Erdstöße und -beben.‹ O ja, selbstverständlich, sehen Sie sich bloß an, was passiert ist.«
    »Soll das heißen, dass in Vermont ein Reaktor hochgegangen ist?«
    »Hat ganz Neuengland und den Süden von Quebec radioaktiv verseucht.«
    »Wann?«
    »Jake, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
    »Durchaus nicht.«
    »Am 19. Juni 1999.«
    »Das mit Ihrer Frau tut mir leid.«
    »Danke, mein Sohn. Sie war eine gute Frau. Eine wundervolle Frau. Sie hatte nicht verdient, was sie gekriegt hat.« Er fuhr sich mit dem Arm langsam übers Gesicht. »Lange her, dass ich über sie geredet hab, andererseits ist’s auch lange her, dass ich überhaupt mit jemand reden konnte. Darf ich Ihnen noch etwas von diesem Freudensaft einschenken?«
    Ich hielt zwei Finger einen winzigen Spalt weit auseinander. Ich erwartete nicht, lange hier zu sein; ich musste diese ganze unechte Historie, diese Dunkelheit, möglichst schnell in mich aufnehmen. Ich hatte viel zu tun, nicht zuletzt wollte ich auch meine eigene wundervolle Frau wieder zum Leben erwecken. Das würde einen weiteren Plausch mit dem Grüne-Karte-Mann erfordern. Ich wollte nicht beschwipst sein, wenn es dazu kam, aber ein weiterer kleiner Schluck konnte nicht schaden. Ich brauchte den Drink. Meine Gefühle schienen erstarrt zu sein, was vermutlich nur gut war, weil sich in meinem Kopf alles drehte.
    »Sind Sie bei der Tet-Offensive verwundet worden?«, fragte ich und dachte dabei: Klar bist du seither gelähmt, aber es hätte schlimmer sein können; in der vorigen Runde bist du gefallen.
    Für einen Moment blickte er verständnislos drein, dann hellte seine Miene sich auf. »Ich glaube, es war die Tet, wenn ich’s mir recht überlege. Wir haben sie nur den Großen Saigon-Beschiss von siebenundsechzig genannt. Der Hubschrauber, in dem ich war, ist abgestürzt. Ich hatte noch Glück. Die meisten Leute an Bord sind umgekommen. Manche von ihnen waren Diplomaten, aber es waren auch Kinder darunter.«
    »Die Tet-Offensive von achtundsechzig«, sagte ich. »Nicht siebenundsechzig.«
    »Richtig! Sie waren damals noch nicht auf der Welt, aber Sie haben’s bestimmt in den Geschichtsbüchern gelesen.«
    »Nein.« Ich ließ mir noch etwas Scotch einschenken – nur so viel, dass der Boden meines Glases bedeckt war – und sagte: »Ich weiß, dass President Kennedy im November 1963 beinahe ermordet worden wäre. Danach weiß ich nichts mehr.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das ist der komischste Fall von Gedächtnisverlust, von dem ich je gehört habe.«
    »Ist Kennedy wiedergewählt worden?«
    »Gegen Goldwater? Da können Sie Ihren Arsch drauf verwetten!«
    »Hat er Johnson als Mitkandidaten behalten?«
    »Klar. Kennedy brauchte Texas. Hat dort auch gewonnen. Gouverneur Connally hat wie ein Sklave für ihn geschuftet, obwohl er Kennedys New Frontier gehasst hat. Aber er hatte eben ein schlechtes Gewissen. Wegen dem, was damals in Dallas beinahe passiert wäre. Wissen Sie das wirklich nicht? Sie haben nichts davon in der Schule gelernt?«
    »Sie haben es miterlebt, Harry. Also erzählen Sie’s mir.«
    »Nichts dagegen«, sagte er. »Ziehen Sie

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