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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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als noch auf leerer Bühne geprobt wurde, in weiter Ferne zu liegen schien, ist nun auf einmal da. Und bevor der Vorhang sich hebt, wird irgendein Hamlet, ein Willy Loman oder eine Blanche DuBois auf die nächste Toilette rennen und sich übergeben müssen. Das bleibt nie aus.
    Man glaube mir, was die Sache mit der Übelkeit betrifft. Ich weiß, wovon ich rede.
    6
    In den frühen Morgenstunden von Halloween befand ich mich nicht in Derry, sondern auf dem Meer. Auf einem stürmischen Meer. Ich klammerte mich an die Reling eines größeren Schiffs – einer Jacht, glaube ich –, das kurz vor dem Kentern war. Von heulendem Wind getriebener Regen klatschte mir ins Gesicht. Riesige Brecher, unten schwarz, oben am Wogenkamm schaumig grün, rannten gegen mich an. Die Jacht wurde gehoben, kreiselte dabei und stürzte dann mit wilden Korkenzieherbewegungen wieder in die Tiefe.
    Aus diesem Traum schrak ich mit jagendem Herzen und immer noch verkrampften Händen hoch, als wollte ich mich weiter an die Reling klammern, die mein Gehirn sich ausgedacht hatte. Nur dass es nicht nur mein Gehirn war, denn das Bett bewegte sich weiter auf und ab. Mein Magen schien sich von den Muskeln gelöst zu haben, die ihn an Ort und Stelle halten sollten.
    In solchen Augenblicken war der Körper fast immer klüger als das Gehirn. Ich warf die Bettdecke zurück und spurtete ins Bad, wobei ich auf dem Weg durch die Küche mit einem Fuß den verhassten Stuhl mit dem gelben Polster umwarf. Meine Zehen würden später wehtun, aber in diesem Augenblick spürte ich fast nichts davon. Ich verriegelte meine Kehle, so gut es ging. Ich konnte ein unheimliches Geräusch hören, das aus der Kehle herauf in meinen Mund drängte. Es klang wie ulk-ulk-urp-ulk. Mein Magen war die Jacht, die erst in die Höhe gehoben wurde und dann in grässlichen Korkenzieherspiralen in die Tiefe stürzte. Ich sank vor der Kloschüssel auf die Knie und gab mein Abendessen von mir. Als Nächstes kamen das gestrige Mittagessen und mein Frühstück … o Gott, Rührei mit Schinken. Beim Anblick dieses fettig glänzenden Breis musste ich erneut heftig würgen. Danach gab es eine Pause, nach der anscheinend alles, was ich in der Vorwoche gegessen hatte, meinen Körper verließ.
    Als ich eben zu hoffen wagte, dass es vorüber war, begann es in meinen Gedärmen schrecklich wässrig zu gurgeln. Ich rappelte mich auf, knallte die Klobrille runter und schaffte es gerade noch, mich draufzusetzen, bevor alles in einem flüssigen Strahl herausschoss.
    Aber nein. Noch längst nicht alles. Mein Magen krampfte sich aufs Neue zusammen, als meine Eingeweide eben wieder zu arbeiten begannen. Mir blieb nur eines übrig, was ich auch prompt tat: Ich beugte mich nach vorn und übergab mich ins Waschbecken.
    So ging es bis zum Mittag dieses Tages vor Allerheiligen weiter. Inzwischen drang aus den beiden Körperöffnungen nur noch dünnflüssige Grütze. Immer wenn ich mich übergeben musste, wenn meine Eingeweide sich verkrampften, dachte ich das Gleiche: Die Vergangenheit will sich nicht ändern lassen. Sie ist unerbittlich.
    Aber wenn Frank Dunning heute Abend vor seinem Haus aufkreuzte, wollte ich dort sein. Auch wenn ich weiter graues Wasser würgte und kackte, wollte ich dort sein. Selbst wenn ich dabei umkam, wollte ich da sein.
    7
    Mr. Norbert Keene, Inhaber des Center-Street-Drugstores, stand hinter dem Ladentisch, als ich an diesem Freitagnachmittag hereinkam. Die Holzflügel des Deckenventilators über ihm bewegten sein spärliches Resthaar zu einem wogenden Tanz: Spinnweben in einer Sommerbrise. Allein dieser Anblick genügte, damit mein empfindlicher Magen sich erneut warnend verkrampfte. Keene in seinem weißen Kittel war mager – fast ausgezehrt –, und als er mich hereinkommen sah, verzog er die blassen Lippen zu einem Lächeln.
    »Sie sehen ein bisschen verkatert aus, mein Freund.«
    »Pepto-Bismol«, sagte ich mit heiserer Stimme, die nicht wie meine eigene klang. »Haben Sie das da?«
    »Na, wir haben uns wohl eine kleine Infektion geholt?« Die Deckenbeleuchtung spiegelte sich in den kleinen Gläsern seiner randlosen Brille und flitzte umher, wenn er den Kopf bewegte. Wie Butter in einer Pfanne, dachte ich, wobei mein Magen sich schon wieder verkrampfte. »Die macht im Augenblick in der Stadt die Runde. Sie müssen sich da leider auf scheußliche vierundzwanzig Stunden gefasst machen. Vermutlich ein Virus. Möglicherweise waren Sie auf einer öffentlichen Toilette und haben

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