Der Anschlag - King, S: Anschlag
erhalten.
Eine Straße, die ich noch nicht abgegrast hatte, war die Wyemore Lane, eine Häuserzeile südlich der Kossuth Street. Ihre Lage bedeutete, dass die dortigen Gärten an die Gärten der Häuser in der Kossuth Street stießen. Es konnte nicht schaden, sich dort umzusehen.
Die Wyemore Lane 206 direkt hinter dem Haus der Dunnings war bewohnt, aber die 202, das Haus links daneben, hätte die Antwort auf ein Gebet sein können. Die hellgraue Fassade war frisch gestrichen, das Dach neu gedeckt, aber die Jalousien waren heruntergelassen. Auf dem Rasen, von dem alles Laub abgerecht war, stand eines der gelb-grünen Schilder, die ich überall in der Stadt gesehen hatte: ZU VERKAUFEN DURCH DERRY HOME REAL ESTATE SPECIALISTS. Dieses Schild forderte mich auf, den Berater Keith Haney anzurufen und die Finanzierung mit ihm zu besprechen. Ich hatte nicht die Absicht, das zu tun, aber ich parkte meinen Sunliner auf der frisch asphaltierten Einfahrt (irgendjemand sparte keine Ausgaben, um dieses Objekt endlich zu verkaufen) und ging um das Haus herum in den Garten: mit erhobenem Kopf, die Schultern zurückgenommen, unübersehbar und fast überlebensgroß. Bei der Erkundung meiner neuen Umgebung hatte ich viele Erkenntnisse gewonnen – und dazu gehörte auch, dass man sich nur benehmen musste, als gehörte man an einen bestimmten Ort, damit die Leute glaubten, dass man tatsächlich dorthin gehörte.
Der Rasen hinter dem Haus war ordentlich gemäht und das Laub zusammengerecht, damit sein samtiges Grün gut zur Geltung kam. Unter dem Überhang des Garagenvordachs stand ein Handmäher, dessen rotierende Messer ordentlich mit einer grünen Plane abgedeckt waren. Neben dem Kellerabgang stand eine Hundehütte mit einem Schild, das den umsichtigen Keith Haney in Bestform zeigte: IHR KÖTER GEHÖRT HIERHER. In der Hütte lag ein kleiner Stapel neuer Laubsäcke, die mit einer Gartenschaufel und einer Heckenschere beschwert waren. Im Jahr 2011 wäre solches Werkzeug weggesperrt worden; im Jahr 1958 hatte sich jemand damit begnügt, dafür zu sorgen, dass es nicht nass wurde. Das Haus war bestimmt abgesperrt, aber das machte nichts. Ich hatte kein Interesse daran, mir gewaltsam Zutritt zu verschaffen.
Nach hinten hin wurde das Grundstück Wyemore Lane 202 durch eine keine zwei Meter hohe Hecke begrenzt. Mit anderen Worten, die Hecke war nicht ganz so groß wie ich, und obwohl sie üppig und damit ziemlich dicht war, konnte man sich leicht durch sie hindurchzwängen, wenn einem ein paar Kratzer nichts ausmachten. Das Beste kam jedoch erst noch: Als ich zur rechten Gartenecke hinter der Garage ging, konnte ich diagonal in den rückwärtigen Garten der Dunnings sehen. Dort erblickte ich zwei Fahrräder. Eines war ein Jungenrad von Schwinn und stand auf seinem Ständer. Das andere, das wie ein totes Pony auf der Seite lag, gehörte Ellen Dunning. Die Stützräder waren unverkennbar.
Drum herum lagen alle möglichen Spielsachen. Darunter auch Harry Dunnings Daisy-Luftgewehr.
5
Wer jemals bei einem Laientheater mitgespielt hat – oder, wie ich mehrmals an der LHS , bei Theateraufführungen in der Schule Regie geführt –, der weiß, wie sich für mich die Tage vor Halloween angefühlt haben. Anfangs verlaufen die Proben noch ziemlich locker. Es gibt Improvisationen, Scherze, Albereien und jede Menge Flirts, in denen auch die sexuelle Polarität austariert wird. Verhaspelt sich bei diesen frühen Proben jemand oder verpasst seinen Einsatz, wird darüber nur gelacht. Kommt jemand eine Viertelstunde zu spät zur Probe, erhält er oder sie einen milden Tadel, aber meist nicht mehr.
Dann beginnt der Premierenabend als tatsächliche Möglichkeit zu erscheinen statt nur als törichter Traum. Die Improvisationen fallen weg. Das tun auch die Albereien, und obwohl die Scherze bleiben, spricht aus dem Lachen, mit dem sie quittiert werden, eine nervöse Energie, die zuvor nicht da war. Auf verpatzte Zeilen gibt es immer öfter verärgerte statt amüsierte Reaktionen. Und falls sich jemand verspätet, wenn die Kulissen stehen und die Premiere nur noch wenige Tage entfernt ist, muss er oder sie sich darauf gefasst machen, vom Regisseur zusammengestaucht zu werden.
Dann kommt der Premierenabend. Die Schauspieler legen ihre Kostüme an und werden geschminkt. Manche sind regelrecht verängstigt; alle fühlen sich schlecht vorbereitet. Bald werden sie vor einem Saal voller Leute stehen, die alle sehen wollen, was sie draufhaben. Was in den Tagen,
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