Der Anschlag - King, S: Anschlag
Klobrille.
Gerade noch rechtzeitig.
Als der letzte Krampf abgeklungen war, zog ich die Riesenflasche Pepto-Bismol aus der Papiertüte und nahm drei große Schlucke. Mein Magen wollte rebellieren. Ich zwang ihn an seinen Platz zurück. Als ich mir sicher war, dass er unten bleiben würde, trank ich einen weiteren großen Schluck, rülpste und schraubte die Flasche dann langsam wieder zu. An die Wand links neben mir hatte jemand ein männliches Glied mit Hoden gezeichnet. Die aufgeschlitzten Hoden bluteten stark. Unter dieses reizende Bild hatte der Künstler geschrieben: HENRY CASTONGUAY – DAS KRIEGST DU NÄCHSTES MAL WENN DU NOCH MAL MEINE FRAU FICKST.
Ich schloss die Augen, und als ich das tat, meinte ich den Gast zu sehen, der mich beim Hereinstürmen verwundert angestarrt hatte. Aber war er ein Gast gewesen? Vor ihm auf dem Tisch hatte nichts gestanden; er hatte einfach nur dagesessen. Mit geschlossenen Augen sah ich sein Gesicht deutlich vor mir. Es war eines, das ich kannte.
Als ich ins Lokal zurückkam, war Conway Twitty durch Ferlin Husky abgelöst worden, und Keine Hosenträger war verschwunden. Ich ging zum Barkeeper und sagte: »Als ich reingekommen bin, hat dort drüben ein Kerl gesessen. Wer war das?«
Er sah von seinem Kreuzworträtsel auf. »Ich hab niemand gesehn.«
Ich zückte meine Geldbörse, zog einen Fünfer heraus und legte ihn neben einen Narrangansett-Bierdeckel auf die Theke. »Der Name?«
Er hielt kurz Zwiesprache mit sich selbst, sah zu der Trinkgeldbox neben dem Glas mit eingelegten Eiern hinüber, betrachtete den einzelnen Dime darin und ließ dann den Fünfer verschwinden. »Das war Bill Turcotte.«
Der Name sagte mir nichts. Der leere Tisch musste nichts zu bedeuten haben, aber andererseits …
Ich legte Honest Abes Zwillingsbruder auf die Theke. »Ist er reingekommen, um mich zu beobachten?« Falls die Antwort ja lautete, bedeutete das, dass er mich beschattet hatte. Und vielleicht nicht nur heute. Aber weshalb?
Der Barkeeper schob mir den Fünfer wieder hin. »Ich weiß nur, dass er hier reinkommt, um Bier zu trinken – und das reichlich.«
»Warum ist er dann verschwunden, ohne eins zu trinken?«
»Vielleicht hat er bei ’nem Blick in seine Geldbörse nichts als seinen Büchereiausweis gefunden. Seh ich vielleicht wie die gottverdammte Bridey Murphy aus? Warum bestellen Sie nicht selbst was oder verschwinden, jetzt, wo Sie mein Klo verpestet haben?«
»Es hat schon vorher ganz nett gestunken, mein Freund.«
Kein sehr wirkungsvoller Abgangsspruch, aber das Beste, was ich unter den Umständen zustande brachte. Ich ging hinaus, blieb auf dem Gehweg stehen und sah mich nach Turcotte um. Er war nirgends zu sehen, aber Norbert Keene stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen im Schaufenster seines Drugstores und beobachtete mich. Sein Lächeln war verschwunden.
8
Um zwanzig nach fünf an diesem Nachmittag stellte ich meinen Sunliner auf dem Parkplatz der Baptistenkirche in der Witcham Street ab. Dort hatte er reichlich Gesellschaft: Eine Anzeigetafel verkündete, dass seit 17 Uhr in dieser Kirche ein AA -Meeting stattfand. Im Kofferraum des Fords lagen alle Besitztümer, die ich in den sieben Wochen meines Lebens in diesem komischen Kaff, wie ich die Kleinstadt für mich nannte, angesammelt hatte. Unentbehrlich war jedoch nur die Lord-Buxton-Aktentasche, die Al mir mitgegeben hatte: seine Notizen, meine Notizen und das restliche Geld. Zum Glück hatte ich es größtenteils in bar aufbewahrt.
Neben mir auf dem Beifahrersitz lag eine Papiertüte mit der Flasche Pepto-Bismol – jetzt zu drei Vierteln leer – und den Inkontinenzhosen. Zum Glück würde ich sie anscheinend doch nicht brauchen. Magen und Darm schienen sich beruhigt zu haben, auch zitterten meine Hände nicht mehr. Im Handschuhfach lagen ein halbes Dutzend Payday-Schokoriegel auf meinem Police Special. Diese Gegenstände kamen mit in die Papiertüte. Wenn ich später hinter dem Haus Wyemore Lane 202 zwischen Garage und Hecke stand, würde ich den Revolver laden und in den Hosenbund stecken. Wie ein zweitklassiger Gangster in einem B-Movie wie die, die im Strand gezeigt wurden.
Im Handschuhfach lag noch etwas anderes: eine Ausgabe der Zeitschrift TV Guide mit Fred Astaire und Barrie Chase vorn drauf. Ungefähr zum zwölften Mal, seit ich das Heft am Kiosk in der Upper Main Street gekauft hatte, schlug ich das Programm von Freitagabend auf.
20.00, KANAL 2: Ellery Queens neue Abenteuer, George Nader,
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