Der Antares-Krieg
traten durch die Türöffnung, die sie gerade aufgebrochen hatten. Wie erwartet, befanden sie sich in einem Seminarraum. Er war identisch mit Dutzenden anderer, die sie während des Tages gesehen hatten. Fünfzig Plätze mit Arbeitsflächen und Ablagefächern standen in Reih und Glied einem Pult auf niedriger Plattform gegenüber, das mit Datenanschluss und Holoprojektor ausgestattet war. Rasch begannen sie mit ihrer Routinedurchsuchung, Bethany mit den vorderen Reihen nächst dem Eingang, Vargas mit den hintersten in der entferntesten Ecke des Raums. Schnell arbeiteten sie sich durch die Reihen, öffneten auf der Suche nach beschriebenem oder gedrucktem Papier Schubladen und spähten in Ablagefächer. Wie gewöhnlich, fanden sich mehrere Speichertafeln aus kristalliner Keramik – alle durch die Strahlung zu einem rauchigen Grau verfärbt –, aber kein Papier irgendwelcher Art.
Als sie die Studentenplätze durchsucht hatten, nahm Bethany sich das Dozentenpult vor. Vargas blickte im Raum umher, sah nichts, was noch zu durchsuchen war, und trat ans Fenster, um hinauszuschauen. Sie waren im zehnten Stockwerk, und das Fenster gewährte einen guten Ausblick auf die Universitätsgebäude und Teile der Stadt. Napier stand bereits tief am Himmel. Bethany beendete ihre Durchsuchung, fand nichts und trat zu dem Marinesoldaten ans Fenster.
»Erinnert einen irgendwie an zu Hause, nicht wahr, Miss Lindquist?«
»Das liegt daran, dass die meisten altanischen Architekturformen nach Vorbildern aus New Providence entstanden sind«, sagte Bethany. Die Universität von Hekate war vierflügelig in einem großen Rechteck angelegt, in dessen Mitte früher einmal Parkanlagen mit Bäumen und Blumenbeeten, Springbrunnen und Bänken gewesen waren. Die diesen weiten, jetzt verödeten Innenhof umgebenden Gebäude ähnelten dem, in dem sie sich gerade befanden, hatten aber nur vier oder fünf Geschosse. Außerhalb der vierflügeligen Anlage gab es noch eine Anzahl größerer und kleinerer Nebengebäude. »Gott, sehen Sie sich das an! Um das alles gründlich zu durchsuchen, werden wir einen Monat brauchen!«
»Sind die Universitäten der Erde wie diese?«, fragte Vargas.
»Nun, ich habe nur Bilder gesehen«, erwiderte Bethany. »Im Allgemeinen baut man auf der Erde hoch, mit weniger freien Flächen. Wegen der hohen Bevölkerungsdichte ist der Boden dort viel wertvoller. Das da unten ...« – Bethany zeigte hinab zum Innenhof, der eine Fläche von mehr als zehn Hektar umfassen musste – »würde auf der Erde als verschwenderischer Luxus gelten.«
»Sehen Sie die Statuen dort?«, fragte Vargas mit einer Kopfbewegung zu zwei steingrauen Gestalten in der Mitte des weiten Vierecks. »Was für Tiere mögen das sein?«
Bethany blickte in die gleiche Richtung. Die Gestalten flankierten einen kleinen pavillonartigen Bau, der Bethany an einen U-Bahneingang erinnerte.
»Das ist aus dieser Entfernung schwer zu sagen. Leihen Sie mir bitte mal Ihren Feldstecher, Corporal.«
Vargas reichte ihr sein Glas, und Bethany stellte es auf ihre Augen ein. Nach einer langen Pause sagte sie: »Wieso, das sind Löwen!«
»Was ist das? Eine Tierart von New Providence?«
Bethany gab ihm das Glas zurück und zog die Stirn in Falten.
»Sicherlich hat Ihre Mutter Ihnen von Löwen erzählt, Corporal, oder? Sie waren auf der Erde heimisch. Eine große Katzenart, wissen Sie.«
Vargas kratzte sich am Kinn. »Ja, verstehe. Löwen.«
»Man fragt sich, was eine Löwenstatue hier auf New Providence tut«, überlegte Bethany laut. »Sie kann den Einheimischen nicht viel bedeutet haben, es sei denn, als Wappentier und Symbol. Oder sie hatten einen besonders gut ausgestatteten Zoo.« Sie stand einen Moment unschlüssig, dann sagte sie: »Ich glaube, wir sollten das überprüfen.«
»Das geht nicht, Miss Lindquist«, entgegnete Vargas. »Die Sonne geht unter. Das heißt, dass Antares in weniger als neunzig Minuten aufgehen wird.«
»Es wird nicht lange dauern, Corporal. Keine Sorge, zur Sperrstunde werden wir längst im Lager sein.«
Während Archäologen und Sozialwissenschaftler den Schutt des toten Planeten durchsiebten, arbeiteten die Astronomen in der Umlaufbahn an der Kartierung der lokalen Faltraumstruktur. Seit Jahrhunderten hatten Lehrer der vieldimensionalen Physik nach einer geeigneten Analogie gesucht, mit der sie ihren Schülern den Faltraum erklären konnten. In den meisten Fällen nahmen sie Zuflucht zu einem Stück Papier, das zu einem Ball
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