Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
die ich mal kannte und liebte?« Jetzt wurde es gefährlich. Denn Pip hatte ihre Mutter immer als eine Frau gekannt (und geliebt), die beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten den Kopf in den Sand steckte. Vor allem, wenn sie selbst die Schwierigkeiten verursacht hatte. »Die Judy Charteris, die ich kenne und liebe, würde sich der Welt stellen und für ihre Kinder kämpfen.«
Aber auch das war wahr.
Judy hatte mal beim Erntedankfest dem Pfarrer einen Blumenkohl buchstäblich um die Ohren gehauen dafür, dass er Gypsy mit der Begründung vom Kunstwettbewerb disqualifiziert hatte, ihr Bild sei viel zu gut für eine Achtjährige, und dass sie das nur mit Hilfe eines Erwachsenen gemalt haben konnte.
Und als mal zwei Jugendliche von der nahe gelegenen Jugendherberge meinten, Arandores offene Türen seien eine Einladung, sich an Violas CD-Sammlung zu bedienen, jagte Judy diese nur mit BH, Schlüpfer und Pumps bekleidet und Floras Hockeyschläger schwingend vom Hof.
Am nächsten Tag war ein Foto von ihr in der Lokalzeitung gewesen.
Überschrift: »Wonder(bra)Woman!!!«
Major Jenson hatte es sich hinten in seinen Terminplaner gelegt.
»Die Judy Charteris, die ich kenne und liebe, würde alles tun, um ihre Familie zu stärken, während sie versucht, sich aus dieser Notlage zu befreien. Die Judy Charteris, die ich kenne und liebe, versteckt sich nicht, wenn ihre Kinder sie brauchen, nein, sie ist für sie da, unterstützt sie, ganz gleich, wie schwer es fällt ... Nun steh schon auf, Mum! Steh auf und zeig, wer du bist!«
Pip gingen die Worte, die Luft und die Plumpslust aus.
Sie blieb still sitzen.
Einen Moment lang passierte gar nichts. Dann ertönte ein kellertiefer Seufzer, und die Bettdecke wurde langsam weggezogen.
Ein wuscheliger, blonder Haarschopf kam zum Vorschein, dann zwei blaue Augen, randvoll gefüllt mit Tränen, zwei unendlich traurige, tiefblaue Meere der Reue.
»Ach, Persicoria, mein Schatz«, seufzte sie, und ihre ohnehin zarte Stimme bebte vor Scham. »Dieses Mal habe ich es wirklich gründlich vermasselt, oder?«
– 10 –
»Du weißt nicht, wie das ist, Liebes, du bist viel zu vernünftig, aber ich war einfach hoffnungslos verliebt. Unsterblich, bis über beide Ohren, Hals über Kopf ... von Herzen, mit Schmerzen, über alle Maßen ...«
»Schon gut, Mum, ich verstehe, was du meinst.«
»Und natürlich weiß ich, dass das völlig bekloppt ist, schließlich ist er quasi genauso alt wie du und könnte mein Sohn sein, und wir waren auch nur ein paar Monate zusammen, aber wir ... na ja, wir ...« Judy seufzte sehnsüchtig. »Lass es mich so sagen: Du weißt, dass niemand je an deinen Vater heranreichen konnte, nicht einmal Heinrich – aber Raph... hach, Raph...« Ihre Stimme fing an zu ruckeln wie ein Schlagbohrer, der in einer Betonwand steckenbleibt. Schnell nahm Pip ihre Hand.
Judy umklammerte sie, holte tief Luft und sprach dann weiter, ohne ihre Tochter anzublicken.
»Wir haben uns einfach verstanden . Ich hatte das Gefühl, ihn schon mein ganzes Leben zu kennen. Ich dachte, er sei es, ich dachte, in ihm hätte ich endlich den Mann gefunden, der deinem Vater ein würdiger Nachfolger wäre ... Ich habe ihm hunderprozentig vertraut.«
Beschämt ließ sie den Kopf hängen.
»Ich weiß ja, dass ich aufstehen sollte, ich weiß es, aber ich kann einfach nicht ... Ich kann ihnen nicht unter die Augen treten, Persicoria. Ich schäme mich so sehr, dass ich nicht einmal meinen eigenen Töchtern unter die Augen treten möchte.«
»Sie brauchen dich aber, Mum.«
»Und was soll ich ihnen sagen? Dass alles gut wird? Wie denn? Wir sind ruiniert. Ich habe uns ruiniert. Wir haben nichts mehr ...«
Pip atmete tief durch. Es war so weit.
»Wir haben immer noch das Haus.« Sie drückte die Hand ihrer Mutter noch eine Spur fester. »Mum, ich würde das nicht vorschlagen, wenn ich irgendeine andere Lösung parat hätte, aber ich glaube wirklich, es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir müssen Arandore verkaufen ...«
Langsam hob Judy den Kopf und sah ihre Tochter aus angstgeweiteten Augen an.
»Das kann ich nicht«, hauchte sie.
»Ich weiß, keiner von uns will das, Mum, aber ich sehe einfach keine andere Möglichkeit ...«, hob Pip an, doch Judy schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, das meine ich nicht. Es geht nicht darum, dass ich nicht will , sondern darum, dass ich nicht kann ...«
»Ich weiß, der Gedanke daran ist unerträglich, aber egal, wie ich es drehe und wende, es ist
Weitere Kostenlose Bücher