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Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Titel: Der Apfel fällt nicht weit vom Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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Erstaunlich, wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte, ihn fast täglich zu sehen. Nein, nicht erstaunlich. Erschreckend.
    Sie wollte ihn nicht vermissen. Jemanden zu vermissen bedeutete, die eigene Zufriedenheit von einem anderen Menschen abhängig zu machen, und das war äußerst gefährlich.
    Doch Gefühle waren in den seltensten Fällen »richtig« oder »falsch«, sie waren einfach da, existierten, und selbst wenn man sich hin und wieder wünschte, sie ändern zu können, weigerten sie sich hartnäckig.
    Die räumliche Trennung von ihm hatte zumindest eines bewirkt: Es hatte ihre Gefühle für ihn bestätigt und untermauert.
    Sie war verrückt nach ihm.
    Als sie am nächsten Morgen aufwachte, konnte sie es überhaupt nicht mehr abwarten, nach Bristol und somit zu Dan zurückzukehren.
    Aber sie saß hier in Cornwall fest, weil ihre Mutter wieder einmal Bockmist gebaut hatte.
    Die ganze Situation war einfach nur ungerecht, dachte sie, als Flora, Viola und Gypsy mit müden Augen in die Küche taperten und ihre Enttäuschung darüber, dass sie dort nicht ihre Mutter antrafen, kaum verbergen konnten.
    »So kann es nicht weitergehen!«, verkündete Pip in dem Moment, als ihre Tante mit zwei Dosen Bohnen in der Hand in die Küche kam, um Frühstück zu machen.
    Susan blieb stehen und riss entschuldigend die Augen auf.
    »Ich weiß, wir essen ziemlich viel davon, aber wir mögen nun mal Bohnen, ehrlich ... Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen, heißt es, aber so schlimm ist es auch wieder nicht ... obwohl es abends im Wohnzimmer manchmal doch ziemlich übel riecht ... Gut, dass wir nicht rauchen, sonst hätten wir auch noch mit Explosionsgefahr zu kämpfen ...«, lachte sie nervös.
    »Ich meinte nicht die Bohnen, Susan«, fiel Pip ihr ungehalten ins Wort. »Ich meinte Mum. Die verkriecht sich jetzt schon seit fast einem Monat in ihrem Zimmer.«
    »Na ja, schon ... fast ...«, wand Susan sich, die niemandem gegenüber illoyal sein wollte.
    »Ja, und so kann das nicht weitergehen!«, wiederholte Pip. »Es kann so einfach nicht weitergehen!«
    »Du kennst sie doch, Pip ...«
    »Ja, und im Moment ist sie eine ganz große Ego-Sau. Sie soll sich verdammt noch mal zusammenreißen und sich dem Schlamassel stellen, den sie angerichtet hat.«
    Pip knallte den Deckel auf die Teekanne, stellte sie unsanft vor Viola auf dem Küchentisch ab und marschierte dann quer durch die Küche auf die hintere Treppe zu.
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde jetzt mal ein Wörtchen mit der Daunendecke reden.«
    Susan verdrehte die Augen. »Viel Glück. Ich hab’s heute Morgen auch schon versucht. Da hat sie sich überhaupt nicht gerührt. Keine Ahnung, ob sie mich bloß ignoriert oder immer noch geschlafen hat oder ...« – sie senkte die Stimme und warf einen Blick auf die jüngeren Mädchen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht mithörten – »... über Nacht gestorben ist, ertrunken in ihrem Selbstmitleid.«
    Offenbar war Susans Geduld trotz aller Loyalitätsbemühungen auch bald am Ende.
    »Ehrlich gesagt, Pip, ich hätte große Lust gehabt, sie aus dem Bett, dem Zimmer und dem Haus zu zerren und sie in den See zu werfen, nur um zu sehen, ob sie davon vielleicht endlich aufwachen würde ...«
    »Du meinst, du warst in ihrem Zimmer?«
    »Ja, du etwa nicht?«
    »Nein, sie hatte abgeschlossen.«
    »Stimmt, das macht sie manchmal. Darum ...«
    Susan zog einen Schlüssel aus der Tasche und wedelte damit vor Pips Nase herum.
    »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich sie in ihrem Zustand in einem von innen abgeschlossenen Zimmer vollkommen sich selbst überlassen würde ...«
    Pip schnappte sich den Schlüssel und ging nach oben.
    Pip liebte das Zimmer ihrer Mutter. Immer schon. Es war das größte im ersten Stock, erstreckte sich über die Küche und das kleine Wohnzimmer daneben und nahm somit den gesamten Ostflügel des Hauses ein.
    Als sie eintrat, loderte im Kamin ein Feuer, bestimmt verbrannte da gerade das letzte Brennholz, dachte Pip säuerlich. Im Raum mischten sich der Duft nach dem Moschusparfum ihrer Mutter, nach Möbelpolitur und nach den Blumen aus dem Garten, die in mehreren Vasen auf dem Kaminsims, auf der alten Kommode und auf dem Frisiertisch standen, wo sie sich zwischen den vielen Flaschen und Tiegeln mit Cremes, Lotionen, Make-up und Parfum sowie antiken Silberhaarbürsten tummelten.
    Das Zimmer war eine Oase, und all diese Kleinigkeiten trugen nicht unerheblich dazu bei.
    Auf Judys Nachttisch lagen neben einem Krug

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