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Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Titel: Der Apfel fällt nicht weit vom Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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der große, schlanke Hund sich immer in der Nähe von Gypsy aufhielt, und tatsächlich entdeckte er das Mädchen, wie es sich unter dem Schmetterlingsstrauch duckte.
    Offenbar suchte man das kleine Mädchen.
    Balthazar beschloss nicht ohne Erleichterung, den Anruf aufzuschieben, schlich sich in den Garten, kniete sich neben den Schmetterlingsstrauch und schob einige Zweige beiseite.
    »Darf ich fragen, was Sie hier machen, junges Fräulein?«, flüsterte er. »Wenn ich mich nicht irre, wird nach Ihnen gerufen?«
    Zwei große blaue Augen blickten trotzig zu ihm auf.
    »Ich bin hier, weil nach mir gerufen wird«, antwortete sie sachlich. »Ich verstecke mich vor meiner Familie.«
    »Und warum?«
    Gypsy sagte nichts, sondern sah ihn nur wachsam an.
    In ihrem Blick stand eine Frage: »Was geht Sie das an?«
    Balthazar nickte und fragte:
    »Darf ich?«
    Ungläubig sah sie ihn an, sagte aber nichts, was ihn zurückgewiesen hätte.
    Wenn dieser hochgewachsene, breitschultrige Mann glaubte, er könne unter einen Schmetterlingsstrauch passen, sollte er gerne versuchen, sich da hineinzuzwängen. Sie würde sich derweil darüber amüsieren.
    Er gab sich besonders viel Mühe, sie mit seinen Bemühungen zum Lachen zu bringen, und hatte Erfolg damit. Schon bald war jede Feindseligkeit vergessen, und Gypsy schüttete ihm ihr Herz aus. Sie klagte ihm ihr Leid darüber, dass sie es einfach nur fies fand, wie man sie an diesem Morgen zu irgendeiner doofen Prüfung an irgendeiner doofen, ganz tollen Schule schaffen wollte, obwohl doch alle wussten, dass sie auf Prüfungen keinen Bock hatte.
    »Und du meinst nicht, dass du diese Prüfung einfach machen solltest, statt dich hier davor zu verstecken?«, fragte er, nachdem sie ihren atemlosen Monolog beendet hatte.
    »Wieso sollte ich? Wäre doch nur, weil die anderen das wollen.«
    Er dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf.
    »Ja, aber verstehst du denn nicht, dass du das eben nicht für die anderen tust? Nach allem, was du mir erzählt hast, bist du es, die am allermeisten von der neuen Schule und ergo von dieser Prüfung profitieren würde. Von daher würde ich doch sagen, dass du die Prüfung in erster Linie oder sogar einzig und allein für dich machst?«
    Fünf Minuten später lieferte er eine ziemlich kleinlaute Gypsy bei Pip ab.
    »Ich glaube, ich habe gefunden, was Sie suchen«, rief er den Frauen zu, die sich auf der Einfahrt zusammengerottet hatten, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen.
    »Gypsy, wo zum ...«, hob Pip an, doch Balthazar brachte sie mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln und einem eindringlichen Blick zum Schweigen.
    »Sie hatte wohl ein bisschen Lampenfieber, aber jetzt geht’s, glaube ich.« Er wandte sich an Gypsy, die sich halb hinter ihm versteckt hatte. »Alles klar? – Gut. Prima. Buena suerte, Gypsophila, mi niña prodigio. Zeig ihnen, was du kannst.«
    Er machte eine Faust, und Pip sah erstaunt, wie auch Gypsy ihre zarte, blasse Hand ballte und sie gegen seine große, dunkle drückte. Offenbar hatte sie einen neuen Freund gefunden.
    Judy war noch viel erleichterter als Pip.
    »Vielen herzlichen Dank!« Zu seiner Überraschung nahm sie ihn in den Arm. »Und heute Abend feiern wir dann den Erfolg meiner kleinen Gypsophila ... Was meinst du? Ich weiß genau, dass du mit links bestehen wirst! ... Möchten Sie nicht auch kommen, Mr. ...?«
    »Balthazar.« Er reichte ihr die Hand, doch statt sie zu schütteln, hielt Judy sie eine Weile fest ... Seine schlanke Gestalt, der goldene Teint und die bernsteinfarbenen Augen erinnerten sie so an Raphael ... ihren Raphael, der sie beklaut hatte und ihr mehr wehgetan hatte als jeder andere Mann in ihrem Leben ... Sie seufzte und kramte innerlich nach jener Stärke, die sie erst neulich in sich entdeckt hatte, und schob alle Gedanken an ihre Latin-Lover-Mogelpackung beiseite.
    »Bitte kommen Sie doch auch, Mr. Balthazar.«
    »Einfach nur Balthazar«, lächelte er.
    Wenn er seinen Namen aussprach, klang das nicht so, als würde er niesen. Die Laute rollten geschmeidig über seine Zunge und Lippen.
    Einen Moment lang waren die Charteris-Frauen wie gebannt von dieser köstlichen Lautfolge – dann stürzten sich alle auf ihn und beeilten sich, einander gegenseitig vorzustellen.
    »O ja, bitte, du musst unbedingt kommen! Ja, ja, ja! Bitte, bitte, bitte!«, war aus allen Mündern zu hören.
    »Na ja ... Wenn ihr drauf besteht ...?«
    »Natürlich bestehen wir drauf! Wir wollen dich dabei

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