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Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Titel: Der Apfel fällt nicht weit vom Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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während der Gypsy immer größere Augen machte, bis sie schließlich darum bat, mitmachen zu dürfen.
    Pip wusste genau, dass der Rundgang, das Mittagessen und die Kunststunde nur dazu dienten, Gypsy außerhalb der Prüfungssituation kennenzulernen und zu beobachten. Gott sei Dank zeigte ihre kleine Schwester sich von ihrer Schokoladenseite.
    Pip war der Überzeugung, dass das Earnest Hemmings’ Verdienst war. Er wirkte so ruhig und interessiert, und obwohl er leise sprach, lag doch eine gewisse Autorität in seiner Stimme, man hörte ihm einfach zu. Sogar Gypsy, sie hing förmlich an seinen Lippen.
    Die Lieben zu Hause erwarteten sie mit Ballons und Spannung und jubelten, als sie hörten, dass Gypsy die Prüfung mit Bravour bestanden hatte.
    Die Schule war von ihren Ergebnissen, aber auch von dem Bild, das sie in der Kunststunde gemalt hatte, so beeindruckt gewesen, dass man ihr nicht nur einen Platz an der Schule in Aussicht stellte, sondern ihr sogar anbot, die Schulgebühren über ein Stipendium zu decken. Blieben noch die übrigen Kosten für eine neue Schuluniform – schick und teuer und schneller als gedacht zu klein –, Sportausrüstungen, Klassenfahrten nach Prag, Gstaad und in die USA, eine Künstler-Grundausstattung.
    All das würde Geld kosten. Viel Geld.
    Während alle anderen vor Freude tanzten, tat Pip das, was sie immer tat, weil sie kein Spielverderber sein wollte: Sie setzte ein tapferes Lächeln auf.
    Sie war selbst genervt davon, dass sie immer gleich die Probleme sah, statt sich einfach nur zu freuen. Sie sollte sich endlich eine Scheibe vom offenbar unermüdlichen Optimismus ihrer Mutter, Tante und Schwestern abschneiden.
    Sie würden das Geld schon irgendwie auftreiben.
    Vielleicht würde sie nun doch ihr Auto verkaufen.
    Entweder das – oder ihren Körper.
    Der abgelaufene Wein, den Judy mitgebracht hatte, roch deutlich besser als das abgelaufene Hackfleisch, bevor Gewürze drankamen.
    Pip schenkte sich ein Glas ein.
    »Vorsicht, ich glaube, deine Mum hat den statt Essig für die Pommes mitgebracht«, warnte Tante Susan sie augenzwinkernd.
    »So schlimm?«
    Ihre Tante nickte.
    »Wenn wir ihn nicht auf die Pommes verteilen, werde ich die Fenster damit putzen. Wie wär’s stattdessen mit einem Gin Tonic?«
    »Klingt sehr gut.«
    Susan verschwand kurz und kehrte mit zwei gut gefüllten Gläsern wieder.
    »Schon vergessen? Heute Abend wird gefeiert!«, sagte sie und reichte Pip eines.
    Pip verzog vielsagend das Gesicht.
    »Aha ... Die Sache hat also irgendeinen Haken? Lass mich raten ... Geht’s um Geld?«
    »Wann geht’s denn mal nicht um Geld?«, seufzte Pip.
    Judy hatte sogar den Hof festlich geschmückt. Die Fähnchen mussten uralt sein, jedenfalls konnte sich Pip erinnern, dass Pops sie einst zu ihrem fünften Geburtstag aufgehängt hatte. Billige Ballons, die alle naselang platzten, sodass Susan ständig neue aufpusten musste. Wunderkerzen, die von irgendeinem Fest übrig geblieben waren und sich nicht entzünden ließen.
    Dem alten Grill hatten sie erst eine Weile gut zureden müssen, aber dann erwachte er zu neuem Leben, und nun saßen sie alle um den großen Terrassentisch und sahen Judy gespannt dabei zu, wie sie – das lange blonde Haar unter eine von Morvens Kochmützen gestopft – pseudo-professionell die Burger wendete, was immer wieder zu Stichflammen führte, wenn Fett in die Glut tropfte.
    Stolz servierte sie ihren Mädchen einen großen, ovalen Teller voller Hamburger, als die Turmuhr sechs schlug.
    Doch leider, leider hatte Judy, die sonst aus den schlichtesten Zutaten ein köstliches Mahl zaubern konnte, dieses Mal kläglich versagt.
    Die Mädchen stürzten sich voller Vorfreude auf das Essen, verzogen aber gleich darauf die Gesichter. Das, was sie da gerade im Mund hatten, war eine Beleidigung ihrer Geschmacksnerven.
    »Sag mal, woraus hat sie die denn gemacht?«, flüsterte Viola Pip zu. »Aus Hundefutter?«
    »Sehr witzig.«
    »Das war kein Witz.«
    Judy entgleisten die Gesichtszüge, als sie die angewiderten Mienen der anderen sah.
    »Soooo schlimm sind sie doch nicht, oder? Sagt schon? Echt?«
    Balthazar hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und ein schlechtes Gewissen, weil er zu spät zu seiner Einladung kam.
    Unglücklicherweise betrat er just in dem Moment den Hof, als die zutiefst enttäuschte Gypsy als Antwort auf die Frage ihrer Mutter ihren Hamburger in die Wallachei schleuderte.
    Der warme Klumpen traf ihn mitten ins Gesicht.
    Fleisch und Brötchen

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