Der Apotheker: Roman (German Edition)
in einer Orangenkiste auf den Stufen einer kleinen Kirche unweit des Flusses. Die Tür war verschlossen, und das fleckige Backsteingemäuer zeugte davon, dass die Kirche allmählich verfiel und längst nicht mehr genutzt wurde, aber Mary stand schweigend davor, den Kopf gesenkt, als ich, ein Gebet murmelnd, die Seele des Äffchens Gott überantwortete. Als wir aufbrachen, folgte sie klaglos, sie riss nur einen Fetzen von der Decke, in die die verstümmelte Kreatur eingehüllt war, und drückte ihn an die Lippen, während wir weitergingen. Ihr stilles Dulden war für mich schmerzlicher als ihre schreiende Trauer. Ich hielt ihre Hand ganz fest, während wir in Richtung Norden dem Kirchhof von St. Paul’s zustrebten. Es war ein Wagnis, geradewegs in den Buchladen zu gehen, wo man uns gewiss zuallererst suchen würde, aber eine andere Wahl hatten wir nicht. Mary wurde allmählich müde, und bald würde sie auch Hunger bekommen. Geld für Kost und Logis hatten wir nicht. Ich wusste, dass es besser wäre, zuerst allein mit Mr Honfleur zu sprechen, wagte es aber nicht, Mary unbeaufsichtigt zu lassen, aus Angst, dass sie bei meiner Rückkehr nicht mehr da wäre.
Alle paar Schritte blickte ich über die Schulter zurück, um mich zu vergewissern, dass uns niemand folgte. An der Pumpe unweit des Fleet-Gefängnisses wusch ich Mary die gröbsten Flecken von Gesicht und Kleidern. Der Regen hatte aufgehört. Die Sonne ergoss ihr Licht in den blauen Sommerabend, überzog die Dächer mit ihrem roten Schein und die reglos am Himmel stehenden Wolken mit einem Glanz wie poliertes Kupfer. Irgendwo zwitscherten vergnügt die Vögel.
Die Tür des Buchladens war geschlossen, die Gitter waren heruntergelassen, aber im Innern brannte Licht. Ich schluckte meine Angst hinunter und hob die Hand, um zu klopfen. Mary trat an das Erkerfenster und drückte Gesicht und Hände fest gegen die dicken Scheiben. Missbilligend schnalzte ich mit den Fingern, um ihr zu bedeuten, dass sie an meiner Seite blieb. Ich klopfte.
»Mr Honfleur? Sind Sie da? Es tut mir leid, Sie zu so später Stunde noch zu stören, aber … nun ja, ich bin es, Eliza. Wenn Sie da sind, machen Sie doch bitte auf!«
Ich hörte Schritte im Innern. Wieder fauchte ich Mary an, aber sie gehorchte nicht. Es blieb mir keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ich holte tief Luft und setzte ein freundliches Lächeln auf. Ein kurzes Husten, dann wurde das Gitter geöffnet, und Mr Honfleur streckte den Kopf heraus. Sein Kinn war mit kurzen grauen Stoppeln überzogen, und in seinen Mundwinkeln hingen Brotkrümel. Eine Drahtbrille saß auf seiner Stirn. Sie glitzerte im Licht, als er sich daranmachte, die Tür aufzusperren.
»Eliza?«, sagte er. »Was führt Sie so spät hierher? Ich habe schon seit mindestens einer Stunde geschlossen.«
»Mr Honfleur, es tut mir leid, aber ich musste kommen.«
»Tatsächlich?« Er warf Mary einen argwöhnischen Blick zu. »Und wen, wenn ich fragen darf, haben Sie mitgebracht? Mir wäre es lieber, wenn sie nicht an meinen Fenstern lecken würde. Dadurch wird die Sicht nämlich nicht besser.«
»Nein. Aber natürlich. Mary, komm her. Das ist Mary. Sie arbeitet … das heißt, sie war die Dienstmagd des Apothekers. Mit mir zusammen.«
Mary drehte sich zu ihm. Ich beobachtete, wie sich seine Miene veränderte, als er ihr Gesicht und ihren sich wölbenden Bauch sah.
»Um Gottes willen, haben Sie den Verstand verloren? Sie bringen eine Schwangere hierher … wer auch immer sie ist … einen Ehemann gibt es vermutlich nicht. Sie bringen sie hierher, mitten in der Nacht, in ein ehrbares Haus?
Mon Dieu,
was haben Sie sich bloß dabei gedacht?«
»Ich bitte um Verzeihung, Sir. Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Mr Black … er versucht … er will ein Ungeheuer aus ihm machen. Aus dem Kind. Um darüber in seinem Buch zu schreiben. Er … ich fürchte, es ist schon zu spät. Es wächst bereits heran. Der Gedanke daran – oh, Mr Honfleur, Sir, bitte, ich flehe Sie an, wenn Sie auch nur einen Funken Zuneigung zu mir verspüren, haben Sie Erbarmen mit ihr.«
»Wir sind noch nicht einmal verheiratet, und schon wagen Sie es, mit dieser … dieser Kreatur hierherzukommen … und mit mir wie ein Fischweib zu feilschen. Eliza, ich habe Sie grundfalsch eingeschätzt.«
Ich senkte den Kopf. »Ich bin nicht gekommen, um zu feilschen, Sir, sondern Sie um Ihre Barmherzigkeit anzuflehen. Sie sind ein guter, ein gerechter Mensch. Ich
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