Der Apotheker: Roman (German Edition)
drückte das tote Äffchen nur noch fester an sich.
»Ich werde dich an einen sicheren Ort bringen. Weit weg von ihm, wo du und ich bleiben können.«
Ich schob Mary vor mir her. Die Gassen hinter den Marktbuden waren stickig und eng, und der vom Fluss aufsteigende Gestank hinterließ einen schmierigen Belag auf der Zunge. Flüche und Gelächter drangen aus den Schenken, deren Türen mit Steinen oder splittrigen Holzbrettern offen gehalten wurden. Aus finsteren Winkeln und hinter Aschehaufen tauchten gespenstergleich wie aus dem Nichts Hunde und zerlumpte Kinder auf und umschlichen uns. Auf den Türpfosten und hinter den zersprungenen Fensterscheiben der baufälligen Häuser machten ausgebleichte Schilder mit einer ineinandergreifenden Männer- und Frauenhand und dem Schriftzug HIER EHESCHLIESSUNGEN auf sich aufmerksam. Hinter einem Fenster erhaschten wir einen Blick auf einen Geistlichen in schmuddeligem Chorrock.
Wir passierten die hohen Mauern des Temple und gerieten in das verkehrsreiche Gedränge einer Straße, die nur die Fleet Street sein konnte. Um mich zu orientieren, blieb ich stehen, Mary am Arm festhaltend. Sofort herrschte uns ein Sänftenträger an, Platz zu machen.
»Schwachköpfiger Trampel«, höhnte er, als ich Mary zur Seite zog. Mary schnappte nach Luft. Dann, als würden ihre Knie weich werden, ließ sie sich an der Backsteinmauer hinuntergleiten und hockte sich auf den regennassen Boden, das blutige Bündel umklammernd.
»Los«, drängte ich sie sanft. »Ich habe einen Freund, der uns helfen wird.«
»Nach Hause«, murmelte Mary und ließ den Kopf hängen. »Nach Hause.«
»Was? Du willst zurück zu diesem Dreckskerl, nach allem, was er dir angetan hat?«
»Herr macht Med’zin«, sagte Mary sehr leise. »Herr macht Jinks gesund.«
»Ach, liebste Mary.« Mir schnürte es die Brust zu. »Wenn das nur möglich wäre.«
»Mar’ helfen. Macht gesund.« Sie sah mich flehentlich an. »Bald besser.«
»Mary, nein. Es ist zu spät. Ihm kann niemand mehr helfen.«
Mary schüttelte den Kopf. »Nein. Mar’ helfen. Mar’ Mama für Jinks. Mama.«
»Ja.« Ich schluckte, und tapfer lächelnd ergriff ich ihre Hand. »Du warst für ihn eine gute Mutter. Niemand hätte ihn mehr lieben können. Es tut mir so leid.«
Mary starrte auf unsere Hände, unsere ineinander verschränkten Finger.
»Mama. Gesund machen.«
»Nein.« Mein Mund schmeckte nach Asche. »Nein. Mary, bitte, hör mir zu. Jinks ist tot.«
Mary blickte langsam hoch. »Tot«, wiederholte sie.
Ich nickte. Ich wagte nicht zu sprechen und drückte ihre Hand.
»Jinks tot«, sagte sie.
»Ja.«
»Im Par’dies.«
Ich dachte daran, wie Jinks heimlich vom Zuckerhut stibitzt hatte, ich dachte daran, wie er den Schwanz eingekringelt hatte, wenn er mit einem Penny oder einem gestohlenen Teelöffel auf die Anrichte geklettert war.
»Stell dir Jinks mit Flügeln vor«, sagte ich leise. »Jetzt kriegt ihn niemand mehr zu fassen.«
»Flügel.«
Mary lehnte sich an mich, ihre Hand noch immer in der meinen verschränkt, und barg den Kopf an meiner Schulter.
»Mit gefiederten Flügeln«, sagte ich. »Wie eine Taube. Und jeden Tag kriegt er Zucker zum Abendessen.«
»Ja. Jeden Tag.«
»Und er schläft in einem Federbett. Aus Engelsflügeln. Und …«
Ihr panischer Aufschrei ließ mich zusammenzucken.
»Verdammt, aus dem Weg. Das ist eine Verkehrsstraße, ihr Schmutzfinken, kein Vergnügungspark.«
Der Träger reckte mir sein Gesicht entgegen, sodass ich seine Schnapsfahne roch. Seine Haut war mit Pockennarben übersät. Er schob einen Handkarren, auf dem sich hölzerne Teekisten türmten. Rund um die eisernen Beschlagnägel war das grobe Holz vom Rost verfärbt. Ich drückte mich gegen die Hausmauer, um ihn vorbeizulassen. Leise fluchend führte er die Deichsel wie einen Knüppel vor sich her.
»Gottverdammte Huren, verstopfen die Straße, als ob sie ihnen gehört …« Er räusperte sich laut und spuckte einen Schleimklumpen auf den staubigen Boden.
»Im Paradies ist die Spucke aus Zuckerwasser«, sagte ich leise zu Mary. »Und der Straßendreck besteht aus der dicksten, süßesten Schokolade, die du dir vorstellen kannst.«
Marys Hand zuckte in der meinen.
»Und die Träger … die Träger schieben den ganzen Tag kleine Äffchen herum und fahren sie, wohin immer sie wollen, wenn ihre Flügel zu müde sind, um sie noch zu tragen.«
»Im Par’dies?«
»Im Paradies. Klingt großartig, nicht?«
Wir ließen das tote Äffchen
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