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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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war aufgestanden, sie war jetzt etwas kleiner als Mia. Mias Blick schweifte durch das geräumige Geschäft, in dem sich außer ihnen kaum Kunden aufhielten. Da! Der schlaksige Typ! Wieder betrachtete er sie fast unverhohlen. Sie musterte ihn spöttisch, aber diesmal wandte er den Blick nicht mehr ab, fast schienen sich seine Augen an ihr festgesaugt zu haben. Mia atmete verächtlich aus und drehte sich um.
    Es war wie ein Schlag in den Bauch. Aus dem riesigen Spiegel, der hinter ihr die gesamte Wand einnahm, starrte ihr ein Mädchen entgegen. Das war nicht sie, oder? Mia ließ die Säule los. Machte einen Schritt auf den Spiegel zu. Ihre Taille wirkte in den engen Hosen wie gemeißelt, steil standen ihre nackten Füße in den Schuhen. Die hohen Absätze verliehen ihrer Haltung etwas Gazellenhaftes, Hilfloses, Gefährdetes, die Frisur, die sie ihr für viel Geld verpasst hatten, gab ihr außerdem etwas Geschmücktes, Zelebriertes, Verpacktes. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie jemand anderen aus ihr gemacht hatten – jemanden, den sie noch nie zuvor in sich gesehen hatte. Der Anblick schien sie förmlich anzuspringen, ihre Erscheinung hatte etwas Gespanntes, wie zum Zerreißen Gedehntes an sich, etwas, das danach schrie, endlich platzen, bersten, aufspringen zu können, eine Verlockung, die bis zum Äußersten ausgereizt war.

9
    »Ja, ich höre dich gut.« Ben beugte sich noch ein wenig zum Fenster und presste das Handy ans Ohr. »Was ist denn?«
    Er hatte Georgs Anruf auf seinem Display bemerkt, als er den Gerichtssaal verließ. Zuvor hatte der Richter eine Mittagspause von einer Stunde angekündigt.
    »Heute?«
    »Ja.« Georgs Stimme klang ungeduldig. »Nur wenn du kannst, natürlich. Ich würde mich freuen.«
    »Mal schauen.« Eigentlich hatte Ben schon Lust, sich mit Georg zu treffen, er hatte ihn seit einiger Zeit nicht mehr gesehen.
    »Getränke gehen auf mich«, meinte Georg noch, bevor er auflegte. »Aber mehr Pläne kann ich dir leider nicht mitbringen.«
    Ben klickte sich im Menü seines Handys zurück zu den eingegangenen Anrufen.
    Die Pläne … er wusste nicht einmal, ob er sie überhaupt noch brauchte. Georg hatte ihm vor einigen Wochen ein paar Unterlagen über moderne Bankbauten zugeschickt, nachdem Ben ihn bei den Vorbereitungen für sein Drehbuch darum gebeten hatte. Vor ein paar Tagen hatte Ben ihn dann noch einmal angerufen und gefragt, ob Georg nicht auch den Grundriss eines Tresorraums auftreiben könnte, als Architekturhistoriker hätte er dafür doch bestimmt die nötigen Kontakte. Das würde nun also nichts mehr werden …
    Ein eingegangener Anruf. Die Nummer auf seinem Display kannte Ben nicht. Aber der Anrufer hatte eine Nachricht hinterlassen. Ben aktivierte die Mailbox.
    »Ben, ich bin’s, Robert.« Ben unterdrückte ein Stöhnen. Es war Hellwig, der Produzent, mit dem er sich am Vortag getroffen hatte. »Ich habe wegen deines Drehbuchs jetzt noch mal mit dem Sender gesprochen. Es scheint da Ärger mit einem anderen Buch zu geben? Jedenfalls meinen sie, dass deine Grundidee doch gar nicht so schlecht wäre. Nur: Sie brauchen das Skript schon nächste Woche. Also die neue Fassung. Nicht erst in vierzehn Tagen. Kannst du das schaffen? Ruf mich doch bitte mal zurück.«
    LECK MICH AM ARSCH !
    Ben musste sich regelrecht zusammennehmen, um nicht loszubrüllen.
    ›Ruf mich doch bitte mal zurück.‹
    FICK DICH!!
    Er war so wütend, dass er sich beherrschen musste, um nicht gegen die Wand zu treten.
    ›Um ehrlich zu sein – ich bin ratlos, Ben.‹
    Er hatte Hellwig noch gut im Ohr.
    ›Danke, ich ruf dich, wenn ich fertig bin …‹
    Ben hatte ja schon einiges bei Drehbuchbesprechungen erlebt – aber gestern Abend war Hellwig wirklich zu weit gegangen. So wie er ihn behandelt hatte, wurde Ben allein schon bei dem Gedanken an eine Überarbeitung seines Drehbuchs richtig schlecht.
    Er atmete tief durch, um sich zu sammeln, und ihm fiel auf, dass ein paar Leute zu ihm herübersahen. Während er den Anruf auf seiner Mailbox abgehört hatte, war Ben über den Aufgang N zurück in den Hauptgang gelangt. Die Leute wandten sich wieder ab. Es musste ihnen aufgefallen sein, wie wütend er sein Handy zurück ins Jackett gesteckt hatte. Überrascht stellte Ben fest, dass er einige der Leute kannte, die wenige Schritte vor ihm vor einem Saaleingang zusammenstanden. Er erkannte den Verteidiger wieder, den er eben im Gerichtssaal gesehen hatte, den großgewachsenen Gerichtsdiener …

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