Der Architekt
Stirn. Ben konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Nachdem Sophie Voss von der Limousine abgeholt worden war, hatte Ben rasch einen Kaffee getrunken und war pünktlich zum zweiten Teil der Verhandlung wieder in den Gerichtssaal zurückgekehrt. Er hatte es gar nicht erwarten können, dass der Prozess fortgesetzt wurde.
»Hat Sie jemand im Park gesehen?«
»Nein.«
»Bis wann haben Sie sich denn dort aufgehalten?«
»Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, vielleicht bis kurz nach eins.«
Der Richter musterte den Angeklagten. »Zweieinhalb Stunden in einem Park. Das ist recht lang, mitten in der Nacht, finden Sie nicht?«
Gebannt beobachtete Ben das Profil des Mannes hinter der Holzbrüstung. Eine lebhafte Unruhe schien von ihm auszugehen, jedoch ohne dass er gezappelt oder gewackelt hätte. Im Gegenteil. Breitbeinig und fest stand Julian Götz da, die Hände um die Aufschläge seines Jacketts geschlossen. Und doch erschien er Ben wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung.
»Ich habe über das Projekt nachgedacht.«
Der Richter nickte. »Fahren Sie fort, Herr Götz, ich sagte es schon. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns in einem Stück berichten könnten, was Sie am Abend des 25 . September erlebt haben.«
Götz stützte die Arme auf den Tisch vor ihm. »Es muss einige Minuten nach eins gewesen sein, als ich mein Handy wieder eingeschaltet habe –«
»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn der Richter, »aber ich verstehe nicht. Sie hatten Ihr Handy im Park ausgeschaltet?«
»Ja.«
»Wann haben Sie es ausgeschaltet?«
»Als ich in den Park gegangen bin.«
»Ist das nicht merkwürdig?«
»Ich sagte es gerade: Ich wollte mir Klarheit über einige Aspekte des Heidestraßen-Projekts verschaffen und dabei nicht gestört werden.«
Er sah den Richter an. Der nickte nur flüchtig.
»Als ich kurz nach eins das Handy wieder eingeschaltet habe«, fuhr Götz fort, »sah ich, dass ich einen Anruf bekommen hatte. Von der Nummer zu Hause. Ich hörte die Nachricht ab. Es war Frau Lenz.« Er hielt inne, richtete sich wieder auf und strich mit Daumen und Zeigefinger rechts und links an seinem Mund vorbei.
»Sie sagte … dass mit meiner Frau etwas passiert sei.« Götz’ Blick glitt durch den Gerichtssaal, als hätte er für einen Moment vergessen, dass er mit dem Richter sprach. Aller Augen waren auf ihn gerichtet.
»Bitte, Herr Götz.« Der Richter, dessen Name Lars Hohlbeck war, wie Ben inzwischen herausbekommen hatte, machte eine ungeduldige Handbewegung.
Götz’ Brustkasten hob und senkte sich wieder. »Ich habe den Wagen geholt und bin sofort nach Hause gefahren.«
Hohlbeck warf einen Blick auf den Bildschirm, der vor ihm auf dem Tisch stand. »Dort sind Sie um kurz nach halb zwei Uhr nachts eingetroffen, richtig?«
»Ich nehme an, dass die Polizeibeamten den Zeitpunkt aufgenommen haben.«
»Sicher, sicher …« Hohlbeck wandte den Blick nicht von seinem Monitor. »Verstehen Sie, Herr Götz, das Problem ist, dass Sie nicht belegen können, zur Tatzeit woanders gewesen zu sein als zu Hause.«
Götz nickte, das musste er bereits öfter gehört haben.
»Außerdem haben die Beamten der Spurensicherung das Haus mit größter Sorgfalt abgesucht«, fuhr Hohlbeck fort und sah den Angeklagten nun doch an, »aber es konnten keine Einbruchsspuren sichergestellt werden. Es ist nichts entwendet worden, es gibt keine DNA -Spuren, die nicht zugeordnet werden können, keine eindeutigen Kampfspuren. Nichts deutet darauf hin, dass sich zur Tatzeit eine fremde Person in Ihrer Villa aufgehalten hat.«
Ben kam es so vor, als würde sich eine fast senkrechte Falte in Götz’ Stirn graben.
»Möchten Sie sich dazu äußern?«
Jetzt, schoss es Ben durch den Kopf, springt er mit einem Satz über die Holzbrüstung und rammt mit seinem bulligen Schädel dem Richter das Nasenbein ins Hirn!
Stattdessen erhob sich jedoch der Verteidiger, lehnte sich zu seinem Mandanten nach hinten und flüsterte ihm etwas zu.
Ben beobachtete, wie Götz den Kopf drehte und seinem Anwalt ins Gesicht blickte. Erst jetzt fiel Ben auf, wie angestrengt Götz aussah. Zugleich bemerkte er aber auch noch einen anderen Zug in diesem Gesicht, etwas Spitzes, Gezogenes – als ob jemand die Kopfhaut des Mannes in dessen Nacken zusammenziehen würde.
Götz wandte sich wieder nach vorn zum Richter. »Ja«, sagte er, »ich möchte mich dazu äußern.«
Hohlbeck senkte den Kopf etwas.
»Was ist es eigentlich, das Sie berechtigt, mir hier einen Prozess zu
Weitere Kostenlose Bücher