Der Architekt
machen, der mit jedem Tag, den er fortgesetzt wird, unerträglicher wird? Haben Sie einen Zeugen, der gesehen hat, wie ich einem Wahnsinnigen gleich durch mein Haus getobt bin? Haben Sie eine Tatwaffe mit meinen Fingerabdrücken, DNA -Spuren, die mich überführen?«
»Die Tatwaffen sind abgewischt worden«, hob Hohlbeck an, aber Götz ließ ihn nicht ausreden.
»
Nichts
haben Sie, nichts als einen Verdacht, eine Vermutung, eine Theorie, auf die Sie jedoch eine Anklage stützen, die schrecklicher nicht sein könnte!«
Bens Blick schnellte zu Hohlbeck. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich der Richter diesen Ton bieten lassen würde. Zu seiner Überraschung hatte der Vorsitzende jedoch nur das Kinn gehoben und hörte Götz zu.
»Nichts haben Sie«, fuhr der Angeklagte fort, »außer der Statistik, die Ihnen sagt, dass in den meisten ähnlich gelagerten Fällen der Familienvater selbst der Täter ist. Nichts als Erfahrungswerte, Annahmen, Meinungen. Nichts als die Gewissheit, dass Sie einen anderen Verdächtigen bisher nicht dingfest machen konnten.« Götz’ Stimme schien eine geradezu außergewöhnliche Schärfe und Klarheit gewonnen zu haben, sie schnitt einer Klinge gleich durch den Raum: »Und doch haben Sie sich entschieden, das Verfahren gegen mich zu eröffnen! Und warum? Warum sind die Staatsanwaltschaft, Hauptkommissar Gerkens und letztlich auch Sie von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass
ich
derjenige gewesen sein muss, der meine Frau und meine beiden Töchter getötet hat? Weil Sie förmlich spüren, dass hier jemand ist, der anders
tickt,
der anders denkt, fühlt,
lebt,
als Sie es jemals tun würden. Und Sie können sich von der Überzeugung nicht lösen, dass er dann auch derjenige gewesen sein muss, auf den das Unfassbare, Entsetzliche zurückgeht, das am 25 . September über meine Familie hereingebrochen ist.«
Götz warf seinem Anwalt, der offensichtlich versuchte, ihn zurückzuhalten, einen Blick zu, schüttelte energisch den Kopf und sprach weiter. »Ja, letztlich läuft es darauf hinaus: Es ist Ihr Instinkt, Herr Vorsitzender, der Ihnen sagt, dass
ich
der Mörder sein muss. Das ist es, was Sie bewogen hat, das Verfahren gegen mich zu eröffnen, obwohl Ihnen jeder handfeste Beweis fehlt, dass ich der Täter war!«
Bevor Hohlbeck etwas sagen konnte, hob Götz die linke Hand und hielt sie dem Richter entgegen, wie um ihn an einer Unterbrechung zu hindern. »Und soll ich Ihnen sagen, warum Ihr Instinkt Ihnen das sagt? Weil das Außergewöhnliche, das Sie instinktiv spüren und das für Sie nur ein Merkmal des Verbrechers sein kann, tatsächlich etwas ist, das ich suche –
suchen muss!
Denn es ist das, was mir in meinem Beruf weiterhilft: Das Außergewöhnliche, das über das Mittelmaß hinausgeht. Begreifen Sie? Können Sie mir folgen?«
Eine geradezu unheimliche Stille hatte sich auf den Saal gesenkt. Ben hielt den Atem an. Im Gesicht des Richters arbeitete es, aber er blieb gefasst.
»Fahren Sie fort, Herr Götz, ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich all Ihren Wendungen folgen kann, aber … vielleicht kann ich dann zumindest erkennen, worauf Sie hinauswollen.«
Götz ging bis ganz an die Holzbrüstung heran, stützte beide Hände darauf und beugte sich vor. »Wenn ein Bauherr einen Wettbewerb ausschreibt und einen Entwurf sucht, der nicht nur eine Baulücke füllt, sondern das Bild einer Stadt regelrecht
prägt,
wissen Sie, welche Arbeit er sich dann aussucht? Welche Arbeit gewinnt und realisiert wird?« Götz ließ den Richter nicht aus den Augen. »Diejenige, die
hinausgeht über das Alltägliche!
Diejenige, die die Vorstellungen des Bauherrn gleichsam über sich hinausträgt, indem sie ihnen eine Wendung gibt, auf die er selbst niemals gekommen wäre. Das aber wird nur
der
Entwurf leisten können, der über das Mittelmaß und das Alltägliche hinauswächst!« Götz schien nicht mehr aufzuhalten zu sein. »Um in meinem Beruf erfolgreich zu sein, muss ich das Außergewöhnliche
beherrschen,
Herr Hohlbeck. Das aber ist es, was uns beide voneinander trennt, und was – davon bin ich überzeugt – Sie dazu bewogen hat, in mir den Täter zu vermuten!«
Hohlbeck hatte die Stirn gerunzelt, doch Götz schien sich davon nicht abschrecken lassen zu wollen. »Der Punkt, auf den ich hinauswill, den ich nicht verstehen kann und der mir keine Ruhe lässt, ist aber nicht der
Unterschied
zwischen Ihnen und mir, Herr Hohlbeck! Was ich nicht verstehen kann, ist etwas, worin wir
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