Der Architekt
blieb er mir die Antwort schuldig. »Ich …« Er sprang von dem Stuhl auf, auf dem er zuvor Platz genommen hatte, und fing an, unruhig vor meinem Schreibtisch auf und ab zu laufen. »… ich kann Ihnen das nicht sagen.«
»Was denn? Erst wollen Sie sich vergewissern, dass es das Haus wirklich gibt, dann finden Sie es, wollen seinen Ort aber nicht verraten?« Ich sah ihn misstrauisch an. Versuchte er, mir etwas vorzumachen?
Er blieb stehen, und seine Augen flackerten zu mir herüber. »Sie können das nicht verstehen.«
Was konnte ich nicht verstehen? Doch ich hielt mich zurück. Es hatte keinen Sinn, ihn vor den Kopf zu stoßen. Er hatte bereits hinlänglich bewiesen, dass er unberechenbar war, und ich verspürte wenig Lust, ihn zu provozieren. Außerdem hatte er mir zwar seinen Namen bisher nicht gesagt, doch wenn ich ihn richtig verstanden hatte, war er selbst der Ben Lindenberger, von dem im Text die Rede gewesen war. Und Lindenberger hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Menschen getötet. Sicher, in Notwehr, aber doch auf eine erschreckende Weise, als wäre dabei jegliche Hemmung von ihm abgefallen.
Wir sahen uns einen Moment lang abschätzend an, und ich hatte fast den Eindruck, er würde erkennen, woran ich denken musste.
»Sie sind also derjenige, der den Text geschrieben hat, richtig?«, lenkte ich ein, darum bemüht, wieder mehr Ruhe in unsere Unterhaltung zu bringen.
Wieder nickte er zögerlich, aber unmissverständlich.
»Natürlich.« Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah plötzlich klarer. »Sie
müssen
das Haus ja gefunden haben, sonst hätten Sie unmöglich den Weg, auf dem Mia hineingelangt ist, so genau beschreiben können.«
Er stützte sich direkt vor mir auf die Schreibtischplatte, und ich konnte beobachten, wie die Adern an seinem Hals anschwollen. Es war nicht zu übersehen, dass die Erwähnung ihres Namens ihm zusetzte.
»Ich habe sie in dem Haus getroffen.« Seine Stimme klang rauh und heiser. »Ich habe mit ihr geredet. Ich musste berichten, was mit ihr geschehen war. Mit ihr – und mit mir. Bei den Prozessen war man inzwischen zwar auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die in der Kammer eingesperrte Person Christine Götz getötet haben musste. Niemand jedoch hatte mit Mia selbst geredet, niemand wusste,
wer diese Person war!
«
Er ist es tatsächlich, schoss es mir durch den Kopf, als hätte ich es mir vorher nur einzureden versucht. Ben. Ben Lindenberger. Er war schmächtiger, als ich ihn mir vorgestellt hatte, aber in seinem Gesicht glaubte ich plötzlich all das wiedererkennen zu können, was ich inzwischen über ihn wusste. Die abgrundtiefe Verunsicherung. Die List. Das Grauen, durch das er gegangen war.
»Aber ich kann, ich will das Haus nicht preisgeben, fragen Sie mich nicht, wieso!« Seine Stimme flog mir entgegen.
»Deshalb schreiben Sie von sich in der dritten Person«, rief ich aus. »Deshalb schreiben Sie ›Ben Lindenberger‹ in Ihrem Text und nicht ›ich‹! Weil Sie verbergen wollen, dass Sie wissen, wo sich das Haus befindet! Weil Sie nicht wollen, dass man Ihren Text liest und von Ihnen dann wissen will, wo das Innenhaus versteckt ist! Deshalb steht auch Ihr Name nicht auf dem Titelblatt …«
Er richtete sich wieder auf, anscheinend ein wenig beruhigt, weil sich zeigte, dass ich ihm folgen konnte.
»Der rothaarige junge Mann im Gerichtssaal?« Er warf mir einen Blick zu und nahm seinen Weg vor meinem Schreibtisch wieder auf. »Er hat mich in der Untersuchungshaft aufgesucht. Er wollte über meinen Prozess berichten. Gerade so, wie ich über den Fall Götz hatte berichten wollen. Er war fasziniert von dem, was geschehen war. Von dem Fall Götz, und davon, wie ich selbst damit in Berührung gekommen war.« Lindenberger blieb stehen und verschränkte die Arme. »Erst wollte ich nichts damit zu tun haben, aber er ließ nicht locker. Und dann«, er griff mit Daumen und Zeigefinger an seine Nasenwurzel, »dann dachte ich, es sei die Lösung.«
»Die Lösung wofür?«
»Ich dachte, ich würde den Bericht in seinem Namen herausbringen können. Er hätte das Haus gesucht und gefunden, er hätte dort mit Mia gesprochen. Und er hätte auch mit mir gesprochen. Dann, so hatte ich es geplant, würden wir seinen Report über Mia und den über mich in einem Bericht zusammenfassen und unter seinem Namen herausbringen. Auf diese Weise hätte ich erklären können, zwar in den Fall Götz verwickelt worden zu sein, das Innenhaus selbst jedoch niemals
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