Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der arme Drache (German Edition)

Der arme Drache (German Edition)

Titel: Der arme Drache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Heiser
Vom Netzwerk:
folgen, aber er spürte ihre
Fröhlichkeit, die auch auf ihn überging. Etwas Besonderes
... das klang gut.
    So
wühlten sie sich noch sehr lange durch die verschiedenen Teile
der Sammlung. Oliver lernte viel über Menschen und Marie machte
es Spaß, all die Seltsamkeiten zu beäugen und ihrem neuen
Freund zu erklären. Die gemeinsame Arbeit ließ sie
einander näherkommen.
    Nachts
träumte Oliver oft von Maries Haar und stellte sich vor, wie
warmer Sommerwind ihre Locken streichelte und sie wie sagenhaftes
Gold funkelten. Manchmal, wenn er spät nachts noch wach war,
fragte er sich, ob Drachen und Menschen sich verlieben konnten, und
diese Frage beschäftigte ihn meist bis morgens, und nie kam er
zu einer Antwort, denn auch von solchen Dingen wie Liebe wusste er
wenig, ohne Eltern, die es ihm beigebracht hätten.

    „ Das
ist für dich“, sagte Oliver eines Tages und hielt Marie
die silberne Halskette hin, die er ihr schon einmal gezeigt hatte. Er
hatte sie auf Hochglanz poliert und eine seiner wunderschönen,
grün funkelnden Schuppen daran befestigt. Sie abzumachen hatte
ein klein wenig weh getan.
    Marie
konnte vor Staunen und Freude kein Wort sagen, statt dessen legte sie
die Kette an, drehte sich im Kreis wie eine Ballerina und warf sich
Oliver um den Hals. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und Oliver
war sehr froh darüber, dass Drachen nicht rot werden können.
    Marie
trug dieses Geschenk Tag und Nacht und wenn sie einmal nicht in der
Höhle war, betrachtete sie die einzelne Schuppe und ihr Funkeln
erinnerte sie voller Wärme an den guten Freund, den sie gewonnen
hatte.
    „ Falls
wir aus irgend einem Grund einmal getrennt werden“, sagte Marie
einmal, kurz bevor sie an Olivers Seite einschlief. „soll dich
das an mich erinnern.“ Und mit diesen Worten schnitt sie eine
Locke ihres Haares ab und gab sie dem Drachen zum Geschenk. Der war
darüber so glücklich, dass er die ganze Nacht nicht
schlafen konnte und immerzu an sie denken musste.
    Irgendwie
glaubte er, dass es für einen Drachen möglich war, sich in
einen Menschen zu verlieben. Er glaubte plötzlich sogar ganz
fest daran.
    Ja,
dachte er, ich liebe Marie.

    5.
    Das
Erbe

    Es
gibt viele Menschen, die vor ihrer Vergangenheit fliehen. Manche
haben furchtbare Dinge getan, wegen der sie sich nun vor sich selbst
schämen. Sie laufen weg, damit die Hoffnung in ihnen nicht
stirbt, irgendwann einmal vielleicht ein anderer zu werden. Manche
haben etwas erlebt, dass sie tief verwundet hat, und nun entwurzeln
sie sich selbst und brennen alle Brücken hinter sich nieder,
damit sie die verlorene Zeit nicht mehr einholen kann.
    Nach
all den zauberhaften Tagen in Olivers Gesellschaft begann Marie, sich
auch wie jemand zu fühlen, der vor seiner Vergangenheit
davonläuft. Sie hatten ihren gütigen alten Großvater
begraben, doch damit schien dieses Kapitel ihres Lebens noch nicht
abgeschlossen. Mit jedem Tag, der verging, setzte sich das Bild der
einsamen Hütte vor ihren Augen fest, die ohne eine Hand, die
sich um sie kümmerte, zusehens verfallen würde. Der Winter
war bekannt dafür, dass er keine Gnade gegenüber den Dingen
zeigte, die Menschen gebaut hatten.
    Anfangs
verstand Oliver nicht was sie meinte. Drachen lebten in Höhlen,
um den festen Stein der Berge und Hügel musste man sich nicht
kümmern. Man musste eine Höhle nicht renovieren oder
ausbessern, denn sie war für so etwas wie die Ewigkeit gemacht.
    "Aber
meine Hütte ist keine Höhle. Das Holz kann vermodern. Im
nächsten Frühjahr wird das Gras über die Schwelle
wachsen, wenn sich niemand darum kümmert. Mein Großvater
hat das Häuschen allein aus eigener Kraft errichtet und ein
großer Teil seines Lebens steckt in den Balken. Welche Schande
wäre es, würde es verfallen. Ich kann nicht in Frieden mit
mir selbst leben, wenn ich nicht alles versuche, um sein Andenken zu
erhalten."
    Der
junge Drache konnte Marie zwar größtenteils folgen, war
aber dennoch etwas durcheinander. Dass die Menschen sich so viele
Gedanken um ihre eigene Sterblichkeit machen mussten. Er kannte Marie
noch nicht einmal zwei Wochen, und schon klebte der Tod an ihm wie
eine hungrige Schmeißfliege. Olivers Leben war, nachdem er
seine ersten Schätze gesammelt und eine gewisse Reife erlangt
hatte, die nächsten Jahrzehnte sehr beständig verlaufen,
isoliert im Wald und unter seinem Hügel. Diese Dinge alterten
ebenso langsam wie er selbst, er hatte also noch nie die Zeit vor
seinen Augen verrinnen sehen können, wie ein

Weitere Kostenlose Bücher