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Der arme Drache (German Edition)

Der arme Drache (German Edition)

Titel: Der arme Drache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Heiser
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schüchterner Mann

    Am
Hofe des Königs, der über das Land herrschte, lebte ein
starker und stolzer Ritter, ein Held, dessen Taten weit über die
Grenzen der Region hinaus berühmt waren. Er galt als Mann, der
sich vor nichts und niemandem fürchtete. Sein Name war Gustav.
Nur allzu gerne ließ der König ihn sein Wappen, einen
schwarzen Schwan auf goldenem Grund, ins Felde führen, denn wo
diese stolz wehende Flagge auftauchte, da verließ die meisten
Gegner die Courage. Längst war Ritter Gustav zum Marschall und
Heerführer aufgestiegen, der zwei Armeen des Reiches unter
seinem Befehl hatte.
    Das
Land konnte zudem auf viele Taten blicken, die der Ritter zu dessen
ewigem Ruhm unternommen hatte. Er war leidenschaftlich den Balladen
und klassischen Epen verfallen, und wo es einen Schar bösartiger
Vogelmenschen oder einen Riesenwurm zu erschlagen galt, war Gustav
zur Stelle.
    Obwohl
das Reich noch viele andere starke Kämpfer kannte, beneideten
ihn viele Ritter um seine Stärke und seinen Mut, und kaum jemand
war geschickter mit Schwert und Lanze als er. Noch immer in aller
Munde war sein Kampf gegen die vierköpfige geflügelte
Schlange Harnegost, deren Krallen er vor wenigen Monaten erst hatte
vergolden und auf dem Marktplatz des Schlosses ausstellen lassen. Die
Bestie war aus irgendeinem unentdeckten Schlupfwinkel im Süden
gekommen, wild wie ein Bulle und verschlagen wie eine alte Hexe. Sie
war groß wie eine Scheune gewesen und ihre Körperkräfte
glichen denen von mehreren Riesen. Dazu hatte sie Mächte aus der
alten Welt mitgebracht, als die Erde noch zu einem Großteil im
Schatten lag und Ungeheuer so allgegenwärtig waren wie Seen und
Flüsse. Der Blick der Schlange vermochte einen Mann zu
versteinern und allein ihr Gestank war nicht selten tödlich.
Nachdem sie mordbrennend und verheerend das hohe Land bestiegen hatte
und auf ihrem Weg reinste Zerstörung hinterließ, war
Gustav ihr entgegen geritten. Alleine, nur mit seinem Pferd, seiner
Ausrüstung und seinem Banner. Für Wochen hatte fast das
gesamte Land den Atem angehalten und sich in Sorge um seinen größten
Helden verzehrt. Als er schließlich wieder zurückgekommen
war, mehr tot als lebendig, da war der Jubel ohrenbetäubend
gewesen. Ritter Gustav, mit verbeulter Rüstung, versengtem
Schild und zerbrochenem Schwert, die hühnerartigen Krallen der
Bestie in Händen, hatte sich einmal mehr Strophen in den Versen
der Barden verdient.
    Während
die drei Beamten des Königs gerade fluchtartig in Richtung
Schloss hetzten, weil sie noch immer dachten der Drache sei ihnen auf
den Fersen, schlenderte Gustav im Schatten der mächtigen Mauern
durch die Straßen zum Trainingsgelände für die
Streiter des Königs. Er war auf dem Weg zu einer Arbeit, die ihm
besondere Freude bereitete, denn er hatte die Ausbildung einer
Handvoll Knappen übernommen, die dereinst seine Nachfolge
antreten würden.
    In
der Gasse der Färber, in der immer bunte Bächlein im
Rinnstein des Bürgersteigs flossen, traf er während seines
gemächlichen Gangs auf einen umgestürzten Karren. Die junge
Frau, der das Fuhrwerk gehörte, stand allein daneben und weinte
herzerweichend. Allerlei Kistchen mit Tierhäuten und Tuchballen
zur weiteren Verarbeitung zu Kleidungsstücken waren auf den
Pflastersteinen verstreut.
    Gustav
sank der Mut.
    Da
kämpfte er gegen blutrünstige Ungeheuer, aber wenn es um
Frauen ging, stolperte er stets über seine eigenen Füße,
wurde zum Stotterer oder fühlte das Blut kochend in sein Gesicht
schießen. Ritter Gustav war schüchtern. Seine
Schüchternheit ging so weit, dass er sich bisweilen nicht an
seinen eigenen Namen erinnerte, wenn er in ein Gespräch mit
einer Dame geriet.
    Er
war ein gutaussehender Mann, der langsam auf die Vierzig zuging. Sein
Haar war lang und dicht, nur ansatzweise grau meliert, sein Gesicht
stark und hübsch. Er war schon sein ganzes Leben lang
schüchtern, obwohl es dafür, das sagten zumindest alle
seine Bekannten, überhaupt keinen Grund geben konnte. Aber
dieses Leiden musst nun einmal nicht immer einen sofort ersichtlichen
Grund haben. Es war scheinbar ein Charakterzug wie jeder andere auch.
    Merkwürdig,
sollte man vielleicht denken, wo er doch alles hatte. Er könnte
den ganzen Tag prahlen und sich in seinem Ruhm sonnen, wozu
schüchtern sein? Aber das war nicht Gustavs Art. Wenn er nicht
gerade einen Kampf ausfocht, war er meistens ein nachdenklicher und
besonnener Typ. Er hatte keine Frau, wagte noch nicht einmal davon

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