Der Arzt von Stalingrad
Flackern durch den Raum ging. Die Glühbirnen zitterten – dann erlosch das Licht. Völlige Dunkelheit lag in der Baracke. Nur von dem eisernen Ofen her zuckte ein dünner Streifen Licht über den Dielenboden.
»Was ist das?!« schrie Dr. Kresin.
»Das Licht ist weg.« Der junge Leutnant ließ ein Streichholz aufflammen. »Der Schneesturm hat die Leitung heruntergerissen. Wir werden jetzt vierzehn Tage kein Licht haben. Ich kenne das …«
»Auch das noch!« stöhnte Worotilow. Er hatte sich vom Bett Sellnows erhoben und stieß nun die Feuerklappe des Ofens auf. Matter Schein flackerte in einem kleinen Umkreis um die Stützbalken der Decke. »Lassen Sie sofort die Leitung absuchen, Leutnant!«
»Die Leitung führt über eine Strecke von sechzig Kilometern! Es ist eine Schwebeleitung. Wer weiß, wo sie zerrissen ist.«
»Aber wir können doch nicht ohne Licht sein!« schrie Pawlowitsch.
»Wir haben Petroleumlampen! Und wenn sie ausgehen, nehmen wir Kienspäne …«
»Das ist ja grausigstes Mittelalter!« brüllte Dr. Kresin.
»Das ist Rußland …«, sagte der junge Leutnant still.
Drei Wachsoldaten brachten die Petroleumlampen. Sie rußten und stanken. Es waren uralte Modelle aus der Zarenzeit und aus irgendeinem Bauernhof beschlagnahmt. Sie wurden an die Balken der Baracke gehängt und blakten durch die Stille, die jetzt in dem weiten Raum lag. Nur von draußen hörte man das Heulen des Sturmes. Worotilow sah Dr. Kresin an. »Nie habe ich den Winter so gehaßt wie heute«, sagte er leise.
Dr. Böhler saß auf dem Bett des sterbenden Sellnow und blickte ihn unverwandt an. Emil Pelz hielt eine Petroleumlampe hoch und leuchtete. Immer wieder glitten die Finger Dr. Böhlers über die Stirn des Kranken. Worotilow sah diesen Händen wie gebannt zu. Pawlowitsch kaute auf der Unterlippe und schnippte vor Nervosität mit den Fingern.
»Ich werde doch operieren«, sagte Dr. Böhler leise. »Wir werden einen entlastenden Eingriff machen.«
Pawlowitsch fuhr wie ein Geier hoch. »Sind Sie irrsinnig? Womit denn?«
»Mit meinen Händen …«
Dr. Kresin wurde es plötzlich heiß in seiner Jacke, er riß sie von der Schulter. »Böhler, Sie wissen nicht, was Sie da sagen! Das ist doch Blödsinn! Kein Licht, keine Instrumente, keine Narkosemittel …«
»Eine Narkose brauchen wir nicht … er wird nichts spüren … und Licht haben wir … Pelz wird die Lampe nahe genug heranhalten … es muß genügen …«
Professor Pawlowitsch fuhr sich mit beiden Händen durch die weißen Haare. »Sie können doch nicht den Schädel öffnen …«, stotterte er.
»Ich muß. Es bleibt uns keine Wahl.« Dr. Böhler sah hinüber zu einem der SS-Ärzte, die wortlos auf ihren Pritschen hockten und zusahen. »Habt ihr einen Meißel da?« fragte er. »Einen einfachen kleinen Meißel, Jungs, und einen Drillbohrer, möglichst klein.«
Der eine Arzt nickte. Er schluckte, als er sprach. Das Ungeheuerliche, was er hier erlebte, raubte ihm fast die Besinnung.
»Wir haben bei den Werkzeugen Meißel und Bohrer, wie sie die Zimmerleute brauchen.«
»So einer genügt. Holt mir einen davon und einen Hammer … Und bringt Zwirn mit, einfachen Schneiderzwirn – und Nadeln.«
»Ja, Herr Stabsarzt«, stammelte der SS-Arzt. Gebückt, als habe man ihn geschlagen, verließ er schnell die Baracke. Doktor Kresin riß sich das Hemd auf. »Das ist Wahnsinn«, murmelte er.
Dr. Böhler erhob sich von den Knien. Auf der anderen Seite des Lagers stand Emil Pelz. Der Sanitäter hielt die Lampe hoch. Seine Hand zitterte.
»Angst, Emil?« fragte Böhler.
»Ja, Herr Stabsarzt.«
»Dann mach einen Operationstisch fertig … nimm ein Bett und leg die Bodenbretter doppelt übereinander.« Er wandte sich zu den anderen, die auf den Betten hockten. In ihren Augen lag Entsetzen und Unglauben. Buffschk lehnte an seinem Strohsack und weinte leise vor sich hin wie ein Kind. »Ich brauche Koppel oder Riemen …«
Zögernd wurden ihm die Leibriemen gereicht. Emil Pelz nahm sie an und baute aus Brettern den Operationstisch. Pawlowitsch griff sich an den Hals. »Sie wollen wirklich?« flüsterte er.
»Ich muß, Herr Professor.« Dr. Böhler sah ihn an, seine blauen Augen waren glanzlos. Es war, als käme eine plötzliche, große Erschöpfung über ihn und raube ihm die Kraft des inneren Widerstandes. »Wollen Sie mir assistieren? Oder soll es Dr. Kresin machen?«
»Ich nicht!« sagte Kresin stotternd. »Ich kann das nicht …«
Der SS-Arzt kam zurück. Er war mit
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