Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Einsamkeit, Öde, Unendlichkeit … die erbarmungslose Natur.
    Der dritte Wagen mit den Medikamenten und chirurgischen Instrumenten blieb in einer Schneeverwehung stecken. Die Fahrer und die beiden Rotarmisten stiegen aus und begannen zu schaufeln. Aber der Schnee war stärker … seine Massen warfen sich über sie … sie bedeckten den Wagen und die einsamen vier Männer mit den kleinen Schaufeln in den Händen …
    Keiner merkte es … die beiden ersten Wagen fuhren weiter … wenn man zurücksah, war ja doch nur Schnee … Nur weiter … weiter …
    Sie kamen durch einen Wald, der bis an die Wolga reichte. Die Bäume lagen auf der Straße … entwurzelt vom Sturm, gebogen vom Frost. Die Steppe, der Atem Sibiriens siegte … Man umfuhr sie, man drückte den Wagen aus einer Schneeverwehung heraus … weiter … weiter …
    Dicht aufgeschlossen folgten Wagen Nummer 2 … der dritte Wagen wurde zu einem Schneehaufen, in dem die vier Russen saßen und Machorka rauchten. Sie warteten eine Pause des Sturmes ab …
    Nach sechs Stunden stießen die beiden Wagen aus dem Wald … sechs armselige Holztürme standen im Sturm: das Lager 53/4.
    Die Helfer für Sellnow kamen ohne Medikamente, ohne chirurgische Werkzeuge, ohne alles! Nur der Mensch kam … der nackte, kleine Mensch … Dr. Kresin, Dr. Böhler, Worotilow … zwei Schwestern, ein Sanitäter … der Mensch mit bloßen Händen gegen den Tod!
    Professor Pawlowitsch stand am Fenster, als die beiden Wagen ins Lager rollten.
    Er atmete auf. Noch ahnte er nicht, wie grausam diese Stunde war.
    Dr. Böhler, dachte er. Daß die Deutschen diesen Arzt haben, macht sie reich.
    Als Dr. Böhler aus dem Wagen stieg, ging ihm Pawlowitsch durch den Sturm entgegen …

VIERTES BUCH

Major Worotilow saß am Bett Sellnows und starrte ihn aus großen, verstörten Augen an. Emil Pelz wusch den Kranken mit aufgetautem Schnee … die Brust war eingefallen, über die Knochen spannte sich wie dünnes Leder die Haut.
    Professor Pawlowitsch saß mit Dr. Böhler im Hintergrund der Krankenbaracke und raufte sich die weißen Haare. Er schrie mit dem jungen Lagerführer herum und drohte, die Fahrer des dritten Wagens vor ein Kriegsgericht stellen zu lassen. »Suchen!« brüllte er. »Schicken Sie Leute aus! Ich muß den Wagen haben! In ihm sind alle Medikamente und Instrumente! Der Wagen muß heran!«
    »Es ist schwerer Schneesturm«, sagte der Leutnant schüchtern. »Es ist unmöglich, den Wagen jetzt zu finden. Wir kämen alle um, Genosse Professor …«
    Dr. Kresin lehnte an der rohen Holzwand. Er spürte, wie der Schnee selbst hier durch die kleinste Ritze getrieben wurde. Fröstelnd raffte er seine dicke Pelzjacke enger um den Körper.
    »Eine Schweinerei, wie sie größer nicht sein kann«, sagte er in seiner respektlosen Art. »Wir sind hier« – er lachte laut – »und müssen zusehen, wie ein Kollege stirbt! Untätig sehen wir zu. Sehr interessiert, wie ein Gehirntumor ihn umbringt. Wir haben nur die bloßen Hände, und das ist weniger, als wenn wir überhaupt nicht gekommen wären! Wie dumm, schwach, überheblich und im Grunde idiotisch der Mensch doch ist!«
    Er senkte die Stimme. Erschütterung ergriff ihn, als er hinüber auf das Lager Sellnows blickte. »Ich werde das in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Niemals, Genossen!«
    Der tatarische Greis wandte sich an Dr. Böhler. »Sie stimmen mir in der Diagnose bei?« fragte er.
    »Ja, sicher, ein Tumor oder ein Abszeß, mehr kann man nicht sagen. Jedenfalls besteht Hirndruck, die Symptome sind unverkennbar. Wenn wir operieren könnten, würden wir ihn vielleicht noch retten …«
    Professor Taij Pawlowitsch schloß die geschlitzten Augen. »Ich werde die Mannschaft des dritten Wagens nach Moskau melden«, murmelte er. »Sie haben einen Mord begangen …«
    »Die Natur war stärker«, sagte Major Worotilow vom Bett her. »Wir haben Glück gehabt. Ihnen ist vielleicht eine Achse gebrochen, oder sie sind in einer Verwehung steckengeblieben. Keiner ist dafür verantwortlich. Das Schicksal ist gegen uns.«
    »Das Schicksal!« Pawlowitsch wischte mit der Hand durch die Luft. »Das einzige Schicksal, das ich anerkenne, ist der Tod! Und ihm habe ich oft genug gegenübergestanden!« Er erhob sich. Seine Greisengestalt war gebeugt. »Kommen Sie, Genossen«, sagte er stockend. »Gehen wir hinaus. Es ist mir unerträglich, bei einem Sterbenden zu sitzen, dem ich helfen könnte …«
    Er wollte die Klinke der Innentür herabdrücken, als ein

Weitere Kostenlose Bücher