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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Name verpflichtet – nicht nach außen hin, sondern in der Stille und um so mehr, je lauter der Ruhm nach außen schallt!«
    »Hinaus!« schrie Pawlowitsch. »Noch ein Wort, Genosse Major, und ich lasse Sie füsilieren!« Der kleine Asiate zitterte, sein weißhaariger Kopf stieß vor und zurück, als sei er ein Geier, der seine Beute zerreißt. Wortlos drehte sich Worotilow um und verließ das Zimmer. Hinter sich hörte er, wie Pawlowitsch die Bücher vom Tisch warf und dann zum Telefon griff. Aber das Zuschlagen der Türe übertönte, was er in die Sprechmuschel schrie …
    Auf der Rückfahrt wurde Worotilow beim Einbiegen in die Straße zum Lager von einer großen, schwarzen Staatslimousine überholt. Heulend raste sie an ihm vorbei. Hinter den blanken, schußsicheren Scheiben hockte Professor Pawlowitsch, neben sich einen Oberst und einen Hauptmann.
    Lächelnd sah Worotilow dem Wagen nach. Er hielt an und beobachtete, wie er in die große Straße, die wolgaaufwärts führte, einbog – Richtung Saratow; die Straße, die auch durch Nishnij Balykleij läuft, vorbei an den verschneiten Blockhütten und Baracken von 53/4.
    Werner von Sellnow lag in tiefer Bewußtlosigkeit, als Pawlowitsch im Lager 53/4 eintraf. Der junge Leutnant, erstaunt, daß man wegen eines dreckigen Deutschen solch ein Aufhebens machte, stand wie eine Säule, als der Oberst der Stalingrader Division und der Hauptmann als Leiter der Straflager durch das kleine Tor fuhren und ihn anbrüllten. Er ließ das Gewitter stumm über sich ergehen, er hörte Worte, die bisher in seinem Sprachschatz nicht vorkamen und die er sich für seine Untergebenen merken wollte. Der Oberst hielt sich mit Reden nicht auf, er half dem alten Pawlowitsch aus dem Wagen und nahm dessen Tasche an sich. Dann winkte er einigen steif stehenden Rotarmisten und befahl ihnen, die Bahre aus dem Gepäckraum zu holen.
    Professor Taij Pawlowitsch sah sich um. Die Hütten … der tiefe Schnee, der Schneesturm, der über das Lager fegte … die offene Latrine, vereist und mitten im Sturm … die wenigen Plennis, die sich wie Gespenster durch die Lagergassen schleppten … Mit zusammengepreßten Lippen wandte er sich an den Oberst.
    »Das ist eine menschenunwürdige Unterkunft!« sagte er laut. »Man sollte sich schämen …«
    Der Oberst hob bedauernd die Schultern. »Genosse Professor, wir wissen es. Aber wir können es nicht ändern!«
    »Wo ist der Deutsche?«
    Der Oberst faßte einen Rotarmisten am Ärmel. »Wo ist der deutsche Arzt? Der kranke?!«
    Der Soldat rannte voraus. Pawlowitsch und der Oberst folgten. Hinter ihren Rücken schrie der Hauptmann noch immer mit dem jungen Leutnant herum. Gaffend standen die Wachmannschaften auf den Türmen. Sie waren froh, außerhalb dieser gespannten Atmosphäre zu sein.
    In der Baracke blieb Pawlowitsch stehen. Der beißende Uringeruch schlug ihm entgegen. Fahl, halbdunkel lag der große Raum vor ihm. Die Betten, dreistöckig, die schmutzige Wäsche, der Geruch nach Schweiß und Kot … Er sah sich zu dem Oberst um, der steif hinter ihm stand. »Das ist eine Bestialität«, sagte er, »ich schäme mich, Russe zu sein …«
    »Genosse Professor!« rief der Oberst entsetzt.
    Pawlowitsch trat an das Bett Sellnows. Peter Buffschk saß bei ihm und wischte ihm mit einem schmutzigen Lappen immer wieder den Schweiß von der Stirn. Als er die Russen kommen sah, stand er auf und stellte sich in strammer Haltung neben den Kranken.
    Pawlowitsch beachtete ihn gar nicht. Er beugte sich über Sellnow, zog dessen Augenlider hoch, fühlte den Puls, holte sein Stethoskop aus der Tasche und horchte das Herz ab. Dann griff er nach rückwärts, suchte in seiner Aktentasche nach einer Ampulle, zog eine Spritze auf und injizierte. Er mußte dreimal stechen, ehe er die dünne Vene traf …
    Dann saß er neben dem deutschen Arzt und schüttelte den weißen Kopf. Er prüfte wiederholt die Arm- und Beinreflexe, hob die Augenlider hoch und ließ Licht in die Pupillen fallen. Schließlich erhob er sich und nahm den stumm danebenstehenden Oberst zur Seite. Mit seinen dürren, faltigen Fingern strich er sich über die Oberlippe.
    »Schlimm«, sagte er, »sehr, sehr schlimm! Die Vergiftung ist nicht die Hauptsache … ich fürchte, der Deutsche hat einen Hirntumor. Viel deutet darauf hin. Ein Hirntumor … schlimm, sehr schlimm.« Er sah den Oberst schräg nach oben an. »Wir werden den deutschen Arzt rufen müssen. Diesen merkwürdigen ›Arzt von

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