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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schnee bedeckt, seine Ohren waren blaugefroren. In der Hand hielt er Hammer und Meißel und eine Rolle Zwirn. Außerdem brachte er vier Verbandspäckchen mit, eine Lage Mull und drei Platten Zellstoff. »Das ist alles, was im Revier noch war«, sagte er leise.
    Dr. Böhler nickte. »Das ist mehr, als ich erwartet habe.« Pelz setzte ein Kochgeschirr mit Schnee auf den Ofen. Bald kochte das Wasser und in ihm die primitiven Instrumente. Pawlowitsch zog seinen Rock aus, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und tauchte die Hände in eine Waschschüssel, die ihm ein Rotarmist reichte. Mit einem Stück billigster Kernseife, die nach Fisch roch, wusch er sich die Arme. Unterdessen trugen der SS-Arzt und Emil Pelz den Kranken auf den improvisierten Tisch und schnallten ihn in sitzender Haltung mit den Koppeln fest. Böhler goß das kochende Wasser aus, in dem er seine Instrumente sterilisiert hatte: ein Messer und zwei Pinzetten aus Pawlowitschs Tasche. Pelz rasierte den Kopf Sellnows vollkommen kahl und wusch die Kopfhaut mit Wasser und Seife. Dann strich er sie über und über mit Jodtinktur an, die sich in der Tasche des Professors befunden hatte.
    Ohne Zögern legte Böhler einige Schnitte bis auf den Knochen. Dann schob er die Kopfhaut an den Wundkanten zurück. Er ließ sich den Bohrer reichen, den der Professor eingespannt hatte, setzte die Spitze behutsam auf den freigelegten Schädelknochen und begann zu drehen, ganz vorsichtig. Er handhabte das plumpe Gerät mit einer Leichtigkeit, die ihn selbst erstaunte. Er bohrte ein halbes Dutzend Löcher in die Schädeldecke – entlang dem Schnitt, den er in die Kopfhaut gelegt hatte.
    Dann nahm er den Meißel aus dem Topf. Der Professor beschäftigte sich mit der Wunde und tupfte die schwache Blutung weg. Pelz reichte den kleinen Hammer. Böhler setzte die Schneidekante des Meißels senkrecht in eines der kleinen Löcher, die durch die ganze knöcherne Hirnschale gingen. Mit leichten Schlägen trieb er die Schneide vorwärts, so zart wie möglich, mit genauso viel Kraft, wie unbedingt nötig war, um von einem Loch zum anderen eine schmale Rinne in das Schädeldach zu graben.
    Major Worotilow wandte sich zur Wand und schloß die Augen, als der Meißel knirschend in den Knochen fuhr. Dr. Kresin hielt sich zitternd an einem Bett fest und starrte auf Böhlers Hände. Die beiden SS-Ärzte standen neben dem Operationstisch und hielten den Patienten. Emil Pelz leuchtete mit der Petroleumlampe. Seine Hand zitterte, und mit ihr zitterte der Schein des Lichtes.
    Langsam, Millimeter für Millimeter, fraß sich der Meißel in den Knochen. Von Zeit zu Zeit setzte Böhler ab und betrachtete forschend das Gesicht seines Patienten. In Abständen meldete ihm einer der beiden deutschen Ärzte den Puls, und Professor Pawlowitsch spülte mit einer Injektionsspritze, die er mit abgekochtem Wasser füllte, Knochensplitterchen aus der Wunde. Dann tupfte er das Wasser sorgfältig fort.
    Kein Laut war in der Baracke, bis auf das metallische Geräusch, mit dem der Hammer auf den Meißel schlug. Ab und zu noch ein aufquellendes Stöhnen des Ohnmächtigen.
    Hier vollzog sich das Wunder einer Hirnoperation, von der man später in allen Lagern erzählte, in denen deutsche Gefangene lebten. Ihr Ruf drang nach Moskau bis in den Kreml zu den roten Herrschern und auch nach Deutschland – Dr. Böhler vorauseilend und seinen Namen unauslöschlich mit der Geschichte der Gefangenen von Stalingrad verknüpfend.
    Nach einer knappen Viertelstunde legte der Chirurg den Hammer aus der Hand. Er hatte aus der Schädeldecke ein etwa rechteckiges Stück Knochen ausgemeißelt, das aber an einer Seite noch mit dem Schädelknochen verbunden war. Vorsichtig setzte er jetzt die Schneide des Meißels unter das Knochenstück und hebelte es an, indem er den Rand des Schädelknochens und eine unterlegte Mullkompresse als Stütze benutzte. Das wiederholte er an mehreren Stellen, bis das abgetrennte Stück leicht über der Oberfläche stand. Nun trat er zurück und ging zum Waschständer. Sorgfältig wusch und schrubbte er noch einmal seine Hände. Dann ging er wieder zum improvisierten Operationstisch und griff nach der teilweise losgelösten Knochenplatte. Mit einigen leichten Rucken hob er sie an, und ein leises Krachen verkündete, daß sie an der Seite, an der sie noch mit dem übrigen Schädeldach zusammenhing, losbrach. Nun konnte Böhler die Platte, die noch immer mit der zu ihr gehörigen Kopfhaut verbunden war,

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