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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gott ist, ist auch der Satan«, murmelte Sellnow. Mit zusammengebissenen Lippen ging er an der Kasalinsskaja vorbei.
    Ein Geruch nach Äther durchzog den Raum.
    Dr. Böhler nahm aus den Händen von Dr. Kresin dessen Gummihandschuhe. Die ersten nach drei Jahren …
    Am nächsten Morgen traf Janina Salja im Kommandanturgebäude ein.
    Major Worotilow hatte sie selbst mit seinem Jeep aus Stalingrad abgeholt und stand nun stolz mit Dr. Kresin und Leutnant Piotr Markow zusammen. Er war glänzender Laune und gönnte es dem vorsichtigen Karl Georg, in seiner Gegenwart neue Blumen zu pflanzen, die aus dem Garten der Oktober-Fabrik von der Nachtschichtkolonne gestohlen worden waren.
    Janina Salja sah in Uniform noch schmaler und hilfloser aus. Das rötlichblonde Haar fiel weich herab, ihre großen, wasserblauen Augen tasteten die niedrigen Baracken und die Wachttürme, den Stacheldraht und den Lazarettbau ab, und während Worotilow einen neuen Witz aus Stalingrad erzählte und Markow sich auf die prallen Schenkel schlug, glänzten ihre Blicke auf, als sie am Fenster des Lazaretts die Gestalt von Dr. Schultheiß sah.
    Dr. Sergeij Basow Kresin ahnte Verwicklungen. Janina hatte sich auf ihre Weise nach dem Ergehen des deutschen Arztes erkundigt: »Der deutsche Lümmel gefällt mir nicht. Er hat so weiche Hände, die mich abtasten wie Samtpfoten. Ich mag das nicht …« Aber in ihren Augen stand deutlich die Sehnsucht nach diesen Händen, und Dr. Kresin knirschte mit den Zähnen und erwog, Dr. Schultheiß in eine andere Lagergruppe oder wenigstens in ein Außenlager verlegen zu lassen.
    Über den Platz, von der Küche her, kam die Kasalinsskaja. Als sie Janina sah, lächelte sie und kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Sie umarmte sie mit jenem Enthusiasmus, der sowohl Liebe wie auch Haß auszudrücken vermag, und küßte sie auf beide Wangen.
    »Mein weißes Täubchen«, sagte sie heuchlerisch. »Du kommst uns besuchen?«
    Worotilow schob die dicke Unterlippe vor. Wie ein Bulle, der wiederkäut, mußte die Kasalinsskaja denken.
    »Janina wird Ihnen Gesellschaft leisten, Genossin«, sagte er betont freundlich. »Sie will die Arbeiter in einer Reihenuntersuchung inspizieren.«
    »Welch großes Interesse an den Deutschen! Erst lassen wir sie zu Tausenden verrecken, und jetzt bringen wir uns ihretwegen um. Es gibt in Rußland Millionen, die nicht so gut leben und nicht so gut versorgt werden wie die deutschen Gefangenen. Aber Sie müssen es ja wissen, Genosse Major …«
    »Wenn es nach Genossin Kasalinsskaja ginge, würde man alle Deutschen umbringen«, sagte Major Worotilow lachend zu Janina. »Wir haben da ein gutes System: Wenn ein Stahlwerk oder die Holzkolonne Arbeiter braucht, schicken wir die Genossin Ärztin in die Lager. Innerhalb von zwei Stunden haben wir soviel Arbeiter, wie wir wollen.«
    Janina Salja sah die Kasalinsskaja mit einem schrägen Blick an. Sie trat einen Schritt zurück, und über ihr blasses Gesicht zog der Schimmer einer hellen Röte. »Auch die Deutschen sind Menschen …«
    Piotr Markow winkte ab. »Genossin … uns nannten sie Untermenschen.«
    »Das war im Krieg … Jetzt haben wir Frieden!«
    »Wir haben immer Krieg, solange die Welt nicht restlos kommunistisch ist!« Markow wurde ernst. Der Funke des Fanatismus glomm in seinen Augen. Sein Gesicht wurde kantig und brutal. »Erst wenn die rote Fahne die Weltflagge ist, gibt es Ruhe auf der Welt. So lange kämpfen wir …«
    »Der ewige Revolutionär!« Worotilow lachte schallend. »Mir ist es immer ein Rätsel geblieben, warum er nicht jeden Abend vor dem Zubettgehen die Internationale singt …«
    Übernächtig und noch blasser als sonst kam Dr. Böhler an der Gruppe vorbei und grüßte. Worotilow winkte ihm zu und rief, noch immer lachend: »Wohin, Sie Gliederabschneider?«
    »Zu Baracke VIII, Block 4. Dort soll ein leichter Unfall sein.«
    »War schon da.« Die Kasalinsskaja nickte ihm zu. »Der Mann hat sich einen Daumen gequetscht. Ich habe ihm Arbeit verordnet.«
    »Was haben Sie?«
    »Er muß arbeiten! Oder glauben Sie, ich lasse mir soviel Ausfälle gefallen? Die Kerle lassen sich ihren Daumen quetschen, um sich zu drücken! Bei mir nicht! Ich kenne das! Ich war Ärztin in den Bergwerken! Und überhaupt« – sie stemmte die Arme in die Hüften –, »ich bin einem Gefangenen keine Rechenschaft schuldig.«
    Dr. Böhler sah zu Dr. Kresin hin. Der blickte in den Himmel, als habe er noch nie Schäfchenwolken gesehen, die langsam herbeitrieben.

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