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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Worotilow drehte sich angelegentlich eine Zigarette. Piotr Markow grinste unverschämt. Nur Janina Salja sah von einem zum anderen und wandte sich dann ab.
    »Das ist ekelhaft«, sagte sie auf russisch. »Ich kann das nicht mit anhören …« Sie faßte Worotilow am Arm. »Komm, bring mich ins Lazarett …«
    Willig trottete der Major hinter ihrer schlanken Gestalt her. Ein Bär, der glücklich ist, den Ring durch seine Nase zu fühlen …
    Dr. Alexandra Kasalinsskaja sah ihnen mit zusammengekniffenen Augen nach. Um ihre vollen Lippen zuckte ein böses Lächeln. »Kommen Sie«, sagte sie zu Dr. Böhler. »Ich werde den Mann mit dem zerquetschten Daumen doch krankschreiben …«
    Dr. Schultheiß hatte von seinem Fenster aus das Eintreffen Janinas bemerkt. Er begriff nicht, was dieses biegsame, zarte Mädchen an den Bullen Worotilow band. Eifrig begoß er die Primel in Sellnows Zimmer, während dieser noch schlief und laut schnarchte. Sellnow hatte die ganze Nacht über am Bett des Oberfähnrichs gesessen und sich heftig mit der Kasalinsskaja gestritten, die plötzlich ins Zimmer schaute und großes Interesse heuchelte. Der Anblick der heißblütigen Frau in einem dünnen Nachtgewand hatte Sellnow dermaßen erregt, daß er seinen Stuhl ergriff und drohte, ihn ihr an den Kopf zu werfen.
    »Wie wild«, hatte die Kasalinsskaja lachend gesagt, »wie wild, heroisch und kraftvoll!« Dann war sie gegangen und hinterließ Sellnow in brütender Dumpfheit.
    Nun war Janina im Lager. Die todgeweihte Janina mit der kranken linken Lunge.
    In ihren Augen stand die Weite der Wolga, die Sonne, die durch die Wälder bricht, das Lied der Schiffer, die auf flachen Kähnen den Strom hinab ins Kaspische Meer fahren. Die Schwermut der Eltonischen Steppe lag in ihrem Blick, der hohe Himmel über den Jergeni-Hügeln …
    Sellnow sprach im Schlaf. Es war ein unverständliches Murmeln. Er schien heftig mit jemandem zu streiten. Sein Gesicht zuckte.
    Wie klein werden die Sorgen, wenn Janina hier ist, dachte Dr. Schultheiß. 100 Gramm Brot weniger am Tag, und das Lager hat erst 230 Rubel gesammelt. Im Block 9 haben drei Kirgisen sieben Gefangene blutig geschlagen, weil sie beim Zählappell nicht schnell genug auf ihren Platz liefen. Es waren Männer, die eben erst von der Arbeit in den Wäldern kamen und mehr tot als lebendig auf ihre Strohsäcke sanken. Dabei kauten sie das feuchte, klebrige Brot, als enthalte es allein die Kraft, dieses Leben eines Tieres durchzustehen.
    Das alles könnte man vergessen, weil Janinas Augen tief und geheimnisvoll wie die Steppe sind.
    Es klopfte. Schultheiß fuhr herum und stürzte an die Tür. Emil Pelz stand auf dem Gang und grüßte.
    »Sie sollen zur Lungenstation kommen«, sagte er grinsend. »Wir ham 'n neuen Patienten. Knorke, saje ick! Det is Klasse vom Ku-Damm!«
    »Ich komme sofort.« Dr. Schultheiß lief ins Zimmer zurück und kämmte sich die Haare. Dann rieb er mit den Händen das Gesicht und die Wangen, um ein wenig Farbe in seine blasse Haut zu treiben. Ich sehe ja aus wie eine Leiche, dachte er. Aber sie soll mich so sehen, wie ich einmal war … sie soll ein klein wenig davon sehen …
    Dann lief er über den Gang, bog in den Seitenflügel ein und stand heftig atmend vor der Tür der Lungenstation. Von drinnen hörte er die dunkle Stimme Dr. Kresins. Möbel wurden gerückt, irgend etwas klapperte über den Boden.
    Als er ins Zimmer trat, drehte sich Janina um und sah ihn lächelnd an. Ihre Augen sprachen zu ihm, aber der Mund blieb stumm, die Lippen waren dünn und farblos. Dr. Kresin unterdrückte einen Fluch und fuhr Schultheiß barsch an.
    »Das ist ein Saustall, aber keine Lungenstation!« schrie er. »Hier soll Genossin Salja wohnen?! In diesem Loch?«
    »Für die deutschen Gefangenen reichte es aus.« Dr. Schultheiß sah sich um. »Wir haben hier Licht, Luft und Sonne. Was noch fehlt, ist Ruhe. Und die zieht ein, wenn Sie weg sind …«
    Janina Salja lachte leise. Das machte Dr. Kresin wehrlos. Er warf Schultheiß einen vernichtenden Blick zu und riß eines der Fenster auf. Der Blick über die Steppe und die nahen Wälder war herrlich. Nur ein Drahtzaun mit den Wachttürmen störte das friedliche Bild.
    In einer Barackengasse hingen ein paar Unterhosen in der Sonne und trockneten. Sie waren grauweiß und durchlöchert.
    »Wem gehört die säuische Wäsche?« schrie Dr. Kresin. »Ich befehle, daß ab sofort keine solchen Drecksdinger mehr im Freien getrocknet werden! Der Anblick ist ja

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