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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rostigen Nagel und stieß ihn sich in den Oberschenkel. Er lief mehrere Tage mit dem Nagel im Fleisch herum, bis sich die ersten Anzeichen des Starrkrampfes einstellten. Als er zu uns ins Lazarett kam, konnten wir nichts mehr für ihn tun, als ihn mit Opium-Pillen und Veronal füttern, den einzigen Medikamenten, über die wir aus Wehrmachtsbeständen in größeren Mengen verfügten.
    Neben den Sterbenden legten wir nun Nummer 4583, den jungen Oberfähnrich Graf Burgfeld.
    Vor meinem Zimmer verabschiedete ich mich von dem Oberarzt.
    »Bis nachher«, sagte er. »Und kochen Sie weiter unser Taschenmesser gut aus …«
    Ich nickte. Müdigkeit überfiel mich plötzlich. Ich spürte, wie die Anspannung der vergangenen Stunde sich in meinem Körper in eine grenzenlose Schlaffheit auflöste. Ich schwankte zu meinem Bett und fiel auf den Strohsack. Dann fühlte ich, wie mein Blick starr wurde, ungläubig fassungslos:
    Auf dem Tisch lag ein Skalpell. Ein richtiges Skalpell. Es glänzte in der Sonne, die durch das Fenster flutete. Und neben dem Skalpell drei Nadeln, Catgut, eine Schere, ein kleiner Wundspreizer, sechs Wundhaken …
    Ich fuhr in die Höhe, riß die Tür auf, rannte rufend durch den Gang … Sellnow stürzte aus der Tür … Böhler kam aus dem kleinen Todeszimmer und sah mich an … »Ein Skalpell!« schrie ich. »Wir haben ein Skalpell! Und Wundhaken und Catgut! Wir haben alles, alles!«
    Und dann heulte ich, heulte wie ein kleiner Junge und lehnte mich an die Schulter Sellnows, der mein Gesicht streichelte.
    Dr. Böhler war in mein Zimmer gelaufen und kam nun wieder heraus, das Skalpell in der Hand.
    »Wir müssen uns bei ihr bedanken«, sagte er leise und sah Sellnow fragend an. »Wollen Sie das übernehmen, Sellnow?« Und ich sah, wie der Oberarzt rot wurde und sich schnell entfernte. Die Kasalinsskaja, die verhaßte russische Ärztin, das Weib mit den wilden Locken und der schönen Stimme, die in den Haufen der Plennis hineinschrie: »Dawai! Dawai!«
    Nun bin ich wieder allein.
    Nummer 4583, der junge Oberfähnrich, schläft.
    Und alles riecht heute wieder nach Kohlsuppe.
    Alles.
    Ich werde meine Suppe heute mittag an drei Kranke geben. Ich kann nicht essen.
    Wir haben ein Skalpell …
    Das Lager 5110/47 liegt außerhalb Stalingrads, nordwestlich der Wolga in einer bewaldeten Niederung. Es ist ein Lager wie alle anderen … hohe Stacheldrahtzäune, niedrige Hütten und Baracken, langgestreckt und eingeteilt in Blocks, am Zaun die halbhohen hölzernen Wachttürme, auf denen die Maschinengewehre stehen, die Scheinwerfer und die russischen Soldaten in ihren erdfarbenen Uniformen.
    Ein großes Tor führt auf eine von den Gefangenen ausgebaute Straße. Neben dem Tor liegt das Haus der Wachtruppen, des Kommandanten und des Lager-Distriktarztes. Etwas außerhalb der Wohnblocks erstreckt sich die lange Krankenbaracke mit ihren vielen Fenstern, dem überdachten Eingang und der Zentralküche, die einen besonderen kleinen Ausgang durch den Drahtzaun besitzt, an dem ein schmales Postenhäuschen steht.
    Der Boden des Lagers ist festgestampfte Erde. Ab und zu sieht man zwischen den Baracken einen kleinen Garten, liebevoll gepflegt und umrahmt von heimlich in den Taschen mitgebrachten Steinen von den Bauplätzen in Stalingrad. Solch ein kleiner Garten ist der Mittelpunkt der Sommerabende – und damit der Grund eines verbissenen Kampfes von Leutnant Piotr Markow gegen die ausgehungerten Plennis. Siebenmal war in der Nacht von Unbekannten die Gartenanlage zerstört worden, und achtmal wurde sie wieder aufgebaut, wurden weiße Ziersteine gestohlen, durch die schärfsten Kontrollen geschmuggelt, wurden Knollen und Stauden beschafft, ja, beim achtenmal gab es in dem heißen Sommer 1947 sogar herrliche rote und gelbe Tulpen, von denen keiner wußte, wie ihre Zwiebeln durch die Lagerkontrolle zu den Baracken gekommen waren.
    Piotr Markow tobte und zertrat die Tulpen. »Das ist Revolution!« schrie er Major Worotilow an. »Rebellion! Ich lasse die Kerle auspeitschen!« Aber Worotilow winkte ab und sagte sinnend: »Warum, Genosse Leutnant? Ich liebe Blumen. Ich komme aus Kasan, der Rosenstadt …«
    In Baracke II, Block 7, saßen an diesem Sommerabend Karl Georg, Julius Kerner, Peter Fischer, Hans Sauerbrunn und Karl Eberhard Möller auf einer Pritsche zusammen und spielten mit selbstgezeichneten Karten Skat. Andere standen in Gruppen herum. Beißender Qualm der Machorka-Zigaretten oder des getrockneten Tees, den viele in der

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