Der Arzt von Stalingrad
geschnitzten Pfeife rauchten, durchzog den langen Raum. Ein ewiges Halbdunkel herrschte hier, ein Zwielicht, umwölkt von Gestank und Stimmen, verbaut durch Betten und Spinde, Kleider und Menschen.
»Wenn du noch mal falsch gibst, tret' ich dir in den Arsch!« sagte Julius Kerner und stieß Peter Fischer in die Seite. »So blöd bin ich noch nicht, um nicht zu sehen, daß du zwei As unten läßt und dir zuschusterst.«
Peter Fischer wollte protestieren und legte die Karten hin. »Kinder!« schrie er. »Ich spiele seit der Muttermilch Skat! Mein Vater war Skatmeister!«
»Und meiner Weihnachtsmann! Gib schon, Idiot!«
Die schmutzigen Karten mit den rührend naiven, gemalten Bildern flogen über den Tisch. Möller, in der Liste Möller 75, was er immer zu hören bekam, wenn ihn jemand anredete, drehte sich aus Zeitungspapier und getrockneten Pfefferminzblättern eine dicke Zigarette.
»Der will uns vergiften«, stellte Sauerbrunn fest. Dabei schielte er auf die dicke Zigarette. »Als ob es hier nicht genug nach den Schweißquanten Kerners stinkt!«
Im Hintergrund polterte es. Die Tür nach außen wurde aufgestoßen, jemand, der ihr am nächsten lag, brüllte »Achtung!«, und ein russischer Offizier betrat die Baracke. Er hatte seine Tellermütze in den Nacken geschoben. Bösartig musterte er die Männer, die sich lässig erhoben und so etwas wie Haltung mimten.
»Der Markow!« flüsterte Sauerbrunn. »Was haben wir denn wieder in den Garten gepflanzt?«
»Vergißmeinnicht«, grinste Karl Georg, der Gärtner der Baracke.
Hinter Piotr Markow schob sich eine schmächtige Gestalt vorbei und baute sich vor dem Tisch auf, der vor den ersten Betten stand. Der Mann trug eine abzeichenlose Uniform, sein fettes, schwarzes Haar glänzte matt. Über seinen dicken Lippen trug er einen buschigen, schwarzen Schnurrbart.
»Was will denn der Aaron hier?« flüsterte Kerner. »Wenn der mitkommt, ist immer dicke Luft …«
Jakob Aaron Utschomi, ein Jude, der als Dolmetscher für die Lagergruppe diente und aus Moskau kam, sah sich um und blickte dann Piotr Markow an, der ihm zunickte.
»Herhören!« brüllte er. »Gestern nacht ist der Küchenhilfe Bascha Tarrasowa ein seidener Schal gestohlen worden!«
»Geschieht dem Trampel recht!« flüsterte Kerner Fischer zu.
Irgendwo im dunklen Hintergrund lachte jemand meckernd.
»Schnauze dahinten!« Utschomi drehte an seinen Fingern und sah zu Markow zurück. »Der Lagerkommandant hat angeordnet: Wenn der Schal nicht bis morgen mittag bei Bascha Tarrasowa ist, erhält das Lager eine Woche lang 100 Gramm Brot weniger!«
»Au Backe!« Kerner sah sich um. »Wegen einem Schal müssen ein paar tausend Mann hungern! Man sollte diesen Markow im Scheißhaus ersäufen wie eine Katze!«
»Wer da redet?!« brüllte Leutnant Markow. »Vortreten!«
Julius Kerner zögerte. Sauerbrunn stieß ihm in die Rippen. »Geh schon! Oder wir bekommen noch mal 100 Gramm abgezogen.«
Als Kerner vortrat, stürzte sich Markow auf ihn. Er faßte ihn am Hemdkragen und zog ihn zu sich heran. »Was du sagen?« schrie er wild. Sein Atem roch nach Wodka und Tabak. Er war betrunken. Kerner sah es an dem starren Blick seiner Augen.
»Ich habe gesagt, daß wir den Dieb suchen, Herr Leutnant.«
Piotr Markow stieß Kerner gegen einen Tisch. Die Kante krachte gegen seine Leiste … Kerner verzog schmerzhaft das Gesicht, aber er schwieg.
»Das gutt!« schrie Markow. »Suchen! Alle suchen! Wer Dieb findet, ein Glas Wodka! Wenn nicht findet, kein Brott!«
Er drehte sich um und verließ den Raum. Jakob Utschomi blieb noch einen Augenblick zurück und blickte in das Halbdunkel der Baracke. Er sah die Gesichter wie Schemen … aber er sah die Augen, und sie waren voll Haß und Elend.
»Der Schal ist weg, und ihr findet ihn nie! Legt zusammen und gebt Bascha ein paar Rubel für einen neuen Schal! Dann ist ja alles gut. Aber sagt es nicht Markow …«
Dann eilte er wieselgleich dem draußen vor der Baracke III brüllenden Leutnant nach.
»So ein Sauschwein!« schrie Sauerbrunn, als sich die Tür schloß.
»Der Aaron ist selbst einer der Getretenen, der kann nichts dafür. Der muß wie die Oberen pfeifen!« Kerner rieb sich stöhnend die Leiste. »Aber woher sollen wir die Rubel nehmen?«
»Ein Schal kostet bestimmt 300 Rubel!«
Fischer winkte ab. »3, 30 oder 30.000 – für uns ist jeder Rubel ein Vermögen!«
Karl Georg nahm die Karten vom Tisch und legte sie zusammen. »Eine Woche lang 100 Gramm Brot weniger!
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