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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit der Maschinenpistole zurück und riegelten den kleinen Bau ab, in dem die Latrine und eine lange Waschkaue untergebracht waren. Dr. Böhler konnte ungehindert die Postenkette durchlaufen. Hinter sich hörte er das Hackenknallen der Soldaten, als Worotilow ihm folgte, er hörte auch das Brüllen Dr. Kresins, der die Plennis zurücktrieb.
    In der Baracke kam ihm Ingeborg entgegen. Sie sah völlig verstört aus. »Dr. Schultheiß macht schon Wiederbelebungsversuche«, sagte sie. »Es ist schrecklich … schrecklich …«
    Er stieß die Tür zum Nebenraum auf. Ein penetranter Geruch von Kot und Urin schlug ihm entgegen und nahm ihm einen Augenblick den Atem. Dann sah er inmitten des Zimmers neben einem Tisch Dr. Schultheiß stehen, hemdärmelig, bespritzt mit Kot.
    »Wer hat ihn gefunden?« fragte Dr. Böhler.
    »Emil Pelz.« Dr. Schultheiß unterbrach seine künstliche Atmung. »Er hätte es nicht bemerkt und keiner hätte es gemeldet, wenn er nicht eine Ente hätte ausleeren müssen. Er fand den Mann auf dem Rücken in der Kotgrube liegen. Man sah, daß jemand versucht hatte, ihn unterzutauchen.«
    »Kein Selbstmordversuch?«
    »Ausgeschlossen! Es gibt schönere Arten, aus dem Leben zu scheiden.«
    Die Tür wurde aufgerissen. Worotilow und Dr. Kresin traten ein. Worotilow zog die Nase hoch, Dr. Kresins Gesicht grinste breit. »Eine ausgesprochen beschissene Sache«, sagte er laut.
    Worotilow warf einen Blick auf den Mann und sah zu Dr. Böhler.
    »Tot?« Seine Stimme klang belegt.
    »Nein«, antwortete Dr. Schultheiß an Böhlers Stelle. »Noch ist er zu retten. Er muß sofort ins Lazarett unter den Sauerstoffapparat. Ich habe Schwester Waiden hinübergeschickt wegen einer Trage.«
    »Gut! Retten Sie den Mann auf jeden Fall! Er muß aussagen! Er muß, verstehen Sie?!« Er wandte sich ab, riß die Tür auf und schrie ein paar Kommandos hinaus. Dr. Kresin wurde ernst.
    »Er läßt den ganzen Block zusammentreiben«, sagte er zu Dr. Böhler.
    »Ja, ich weiß.« Hinter ihnen hörte man das Keuchen Dr. Schultheiß', der wieder mit der künstlichen Atmung einsetzte. »Kennen Sie den Mann, Dr. Kresin?«
    »Ja«, sagte der russische Arzt steif. »Er heißt Walter Grosse.«
    Dr. Böhler blickte sich um. Emil Pelz war gerade dabei, die bleiche Gestalt mit einer großen Blechschüssel vom Kot zu reinigen. »So eine Sauerei!« sagte er dabei.
    »Walter Grosse …«, wiederholte Böhler. »Das wird unangenehm für uns alle werden – für alle im Lager 5110/47?«
    Dr. Kresin sah ihn fragend an.
    »Der Plenni Walter Grosse war ein Spitzel-Verbindungsmann zum MWD, so nennen Sie das wohl, Dr. Kresin.«
    »Dieser Mann da?«
    »Ja. Er hat Kommissar Kuwakino die internen Informationen aus dem Lager geliefert.« Dr. Böhler sah wieder auf den Ohnmächtigen, seine Backenknochen mahlten. »Heute möchte ich kein Arzt sein«, sagte er leise.
    »Aber Sie sind es immer, Doktor.« Dr. Kresin trat nahe an ihn heran. »Machen Sie jetzt keinen Unsinn, mein Freund! Ich kann verstehen, wie es jetzt bei Ihnen da drinnen« – er tippte Dr. Böhler auf die Brust – »aussieht. Aber Zähne zusammenbeißen! Denken Sie zuerst immer daran: Er ist ein Mensch! Nur ein Mensch. Ohne Namen, ohne Beruf, ohne Persönlichkeit … ein nackter, armer Mensch! Ein Mensch, der jetzt um Hilfe schreit … um die Hilfe eines Arztes! Und das sind Sie!«
    Dr. Böhler sah Dr. Kresin starr an. »Das sagen Sie mir, Kresin! Sie, der vor einer halben Stunde Gott leugnete. Ich danke Ihnen. Sie haben mehr innere Größe als ich …«
    »Idiot!« knurrte Dr. Kresin. Verschämt wandte er sich ab und brüllte die zwei Träger an, die mit der Bahre hereinkamen. »Schneller! Schneller!« schrie er.
    Von draußen hörte man das Trillern der Pfeifen, Schuhe klapperten über den vereisten Schnee, Stimmen wurden laut, Kommandorufe, Flüche, Schreie.
    Block 12 wurde zusammengetrieben.
    Auch Block 11 und Block 10, die daneben lagen, waren alarmiert worden und traten mit an. 2.439 Männer.
    Major Worotilow schlug mit der Reitgerte gegen die hohen, faltigen Juchtenstiefel. Seine Tellermütze saß gerade und korrekt auf dem Kopf. Das wirkte wie eine Warnung – die Unnahbarkeit des Stärkeren.
    Die 2.439 Männer schwiegen. Wie ein Lauffeuer war es durch das Lager gegangen, wen man in die Latrine gestoßen hatte. Walter Grosse, ehemaliger Politischer Leiter in Stuttgart, Kreis-Organisationsleiter der NSDAP – seit drei Jahren als deutscher V-Mann beim MWD und Spion bei den eigenen

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