Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
gefangenen Kameraden.
    Die 2.439 Männer sahen verbissen auf Worotilow. In ihren Augen stand der Trotz, die innere Auflehnung, die Revolte. Worotilow sah es, er wurde steif und spürte Brutalität in sich aufsteigen. Das erschreckte ihn, aber er wehrte sich nicht dagegen. Es ist meine Natur, dachte er. Ich bin ein Russe! Ich bin der Sieger! Seine Reitgerte fuhr zischend durch die eisige Luft.
    »Ruhe!« brüllte er.
    Der Dolmetscher Jakob Aaron Utschomi schlich heran. Der kleine Jude war bleich und zitterte. Er allein schien zu wissen, was gleich mit den Blocks 10, 11 und 12 geschehen würde. Er stellte sich neben den Major. Wenn Worotilow mit den Gefangenen sprach, konnte er kein Deutsch mehr.
    In der Latrinenbaracke bettete man Walter Grosse auf die Bahre. Dr. Schultheiß stand, beschmiert wie er war, daneben und fühlte den Puls des fast Leblosen.
    »Nicht mehr tastbar«, sagte er zu Dr. Böhler.
    Die Bahre wurde hinausgetragen. Der Gestank des Kots flog voraus. Vorbei an der Mauer der angetretenen 2.439 Männer rannten die Träger zum Lazarett. Dr. Böhler folgte ihnen, während Kresin sich hinter Worotilow stellte.
    »Abzählen«, sagte Worotilow zu Utschomi. »Zu zwanzig! Jeder zwanzigste soll vortreten.« Der kleine Dolmetscher schrie es mit seiner hellen Stimme über den Platz. Schweiß stand unter seiner hohen Pelzmütze. Jeder zwanzigste – er zitterte.
    Die Zahlen flogen durch die klirrende Luft. Schritte knirschten. Die abgezählten Plennis traten vor. Stumm, starr, verbissen.
    Major Worotilow sah sie an, er winkte den russischen Posten – sie bildeten einen Kreis um die Abgezählten. Die Läufe ihrer kurzen, klobigen Maschinenpistolen zeigten auf sie.
    »Diese Männer werden erschossen, wenn Walter Grosse stirbt und sich die Attentäter nicht melden!« Worotilow sah auf die Mauer der Gefangenen. »Bis dahin gibt es für alle drei Blocks nur halbe Rationen! Die Arbeitskommandos bleiben eine und eine halbe Schicht draußen! Ohne Bezahlung!« Er fuhr wieder mit der Peitsche durch die Luft. »Wegtreten!«
    Utschomi wiederholte es … die Mauer stand.
    »Wegtreten!« schrie Worotilow.
    Die 2.439 standen. Keiner rührte sich. Dr. Kresin biß sich auf die Unterlippe – Verdammt, wenn das Moskau erfährt! Verdammt! Er dachte an Kommissar Kuwakino, der wieder am Bett Leutnant Markows hockte. Gut, daß er das hier nicht sah …
    Major Worotilow starrte die Mauer der stummen Männer entlang. Er sah tausend Augen auf sich gerichtet, Augen voll Haß und Hunger, voll Schrecken und Trotz.
    »Wegtreten!« brüllte er heiser auf deutsch. Die Plennis, die Verdammten, standen.
    Da wandte er sich ab, winkte den Posten und stapfte allein davon. Er stieß den gefrorenen Schnee vor sich her, er stampfte seinen Zorn in den Boden. Hinter sich hörte er, wie die abgezählten Zwanzigsten von den Posten in die Mitte genommen und abgeführt wurden. Sie kamen in eine Baracke neben der Kommandantur. Zehn Posten bewachten sie von jetzt ab Tag und Nacht.
    Die anderen Männer standen noch immer. Standen im Schnee, in klirrender Kälte. Sie standen wie Pflöcke, die man in die Erde gerammt hat, starr, unerbittlich und unbeweglich.
    Jakob Aaron Utschomi stand vor ihnen und beschwor sie, in die Baracken zurückzugehen. Er rang die Hände, er bettelte fast. Die Männer standen. Nur aus einer der hinteren Reihen kam kurz eine laute Stimme.
    »Hau ab, du mistige Wanze!«
    Bleich ging auch Utschomi. Er drehte sich noch ein paarmal um und starrte auf die dunkle Mauer von Menschen. Fast weinend ging er in sein Zimmer und setzte sich ans Fenster. Auch er dachte an Kommissar Kuwakino.
    In der Kommandantur hieb Major Worotilow immer und immer wieder mit der Reitgerte auf den Tisch. »Ich lasse sie alle erschießen!« schrie er Dr. Kresin an. Er glühte vor Wut und berauschte sich an blutigen Bildern. »Alle, alle werde ich erschießen lassen. Alle 2.439 Mann! Mit vier Maschinengewehren, an der Mauer! Ich lasse mir das nicht bieten! Sie sind Gefangene … da gibt es keine Auflehnung! Ich werde sie zerbrechen, wie man Holz über den Knien zerbricht!«
    Dr. Kresin zündete sich eine Zigarette an. Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Denken Sie an Moskau, Genosse Major. Man wird Rechenschaft von Ihnen fordern.«
    »Ich lasse mir das nicht bieten!« schrie Worotilow außer sich vor Wut.
    »Sperren Sie ihnen alle Vergünstigungen … streichen Sie die Operettenaufführung zu Weihnachten, ziehen Sie die Instrumente der Lagerkapelle ein, halbe Portion

Weitere Kostenlose Bücher