Der Arzt von Stalingrad
Essen, lassen Sie die Bibliothek schließen, sammeln Sie alle deutschen Zeitungen und Zeitschriften ein, machen Sie aus dem Lager ein dumpfes Gefängnis, sperren Sie das Licht ab neun Uhr abends, aber lassen Sie die Männer selbst in Ruhe … Nichts bedrückt sie mehr als die Streichung aller Vergünstigungen …«
Major Worotilow sah an die Decke, von der eine billige Lampe über den Tisch hing, eine Lampe mit einem häßlichen dunkelgrünen Stoffschirm.
»Das sind gute Ideen, Dr. Kresin! Ich werde das Lager in eine bewohnte Einöde verwandeln, bis sich die Mörder melden!«
»Und was wollen Sie mit den Mördern machen?«
»Ich werde sie dem Genossen Kommissar übergeben.«
Dr. Kresin wiegte den mächtigen Kopf hin und her. Seine Augen waren halb geschlossen. »Das wäre grundfalsch, Genosse Major. Wir alle achten Sie, nur einen Feind haben Sie: Kuwakino. Nicht einen persönlichen – dazu hätte er keinen Grund, aber einen ideologischen. Das ist viel schlimmer. Kuwakino ist ein Fanatiker. Er sucht Opfer, über die er nach oben ins obere Politbüro der Partei kommt. Er will einen Knüppeldamm aus Knochen bauen, denn der Weg nach Moskau ist schlammig und schlüpfrig und sehr glatt. Er würde sich nicht scheuen, auch Sie auf seinen Weg zu legen. Der Kommandant von Lager 5110/47, der es nicht fertigbringt, seine Gefangenen in Ordnung zu halten. Der sowjetrussische Major mit einem Herz für das Deutsche, der Offizier, der nicht vergessen kann, daß er deutsche Ausbilder hatte und der abends Clausewitz liest und die Erinnerungen von Moltke und Hindenburg!«
»Seien Sie still, Genosse!« sagte Worotilow schwach.
»Ich weiß es … auch Dr. Böhler ahnt es … Kuwakino beobachtet Sie, er weiß es nicht … noch nicht!« Dr. Kresin warf seine Zigarette in den glühenden Ofen. »Ich möchte fast wünschen, daß dieser Walter Grosse nicht durchkommt, um nicht aussagen zu können …«
»Sagen Sie das Dr. Böhler, Genosse.«
»Ich werde mich hüten! Er ist Arzt wie ich. Auch ich würde ihn zu retten versuchen, und wenn ich bis zum Hals in dieser furchtbaren Geschichte steckte. Für uns Ärzte gilt nur der hilflose Mensch – was später kommt, darf uns nicht verhindern, zu helfen!«
»Sie könnten am nächsten Sonntag im Lager die Predigt halten!« sagte Worotilow giftig.
Ohne Antwort verließ Dr. Kresin die Kommandantur.
In dem neuen Operationsraum des Lazaretts lag Walter Grosse auf dem Operationstisch; während die beiden Schwestern Martha Kreutz und Erna Bordner ihn mit einer Alkohollösung reinigten, regulierte Dr. Schultheiß an der Sauerstoffflasche den Luftstrom, den Dr. Böhler durch einen Glastrichter in den geöffneten Mund fließen ließ. Dabei preßte er die Seiten und die Brust des Patienten und ließ Martha Kreutz mit den Armen pumpen.
»Die Brust hebt sich«, sagte er plötzlich.
»Gott sei Dank!« Dr. Schultheiß wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah zu, wie Erna Bordner mit einem Zerstäuber den penetranten Geruch im Raum bekämpfte.
»Wir haben ihn durch.« Dr. Böhler gab den Glastrichter an Emil Pelz und ging zum Waschbecken. »Wenn er aus der Ohnmacht erwacht, rufen Sie mich sofort, ehe Sie einen anderen heranlassen! Auch nicht Worotilow oder Dr. Kresin …«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Dr. Kresin trat ein. »Ich hörte meinen Namen?« fragte er.
»Ganz recht. Ich verbot eben allen, jemanden zu dem Patienten zu lassen, auch Sie nicht!«
»Sie haben ihn durchbekommen?« Dr. Kresin blickte zu dem Tisch hin, wo Emil Pelz begann, die Brust und die Seiten zu massieren. »Sie haben ihn wirklich gerettet?!«
»Wie Sie sehen.«
»Eine edle menschliche Tat, Herr Kollege! Mit ihr werden schöne Schwierigkeiten beginnen.«
»Das weiß ich. Deshalb möchte ich auch zuerst allein mit ihm sprechen.«
Dr. Kresin schob die Unterlippe vor. »Das war ein guter Gedanke.« Er wollte weitersprechen, aber die Tür wurde aufgerissen. Die Kasalinsskaja stand im Raum. Sie war aufs höchste erregt.
»Die Kerle stehen noch immer draußen!« schrie sie.
Dr. Böhlers Kopf fuhr herum. »Die drei Blocks?!«
»Ja. Zweitausend Mann. Sie stehen da seit einer Stunde! Sie rühren sich nicht! Sieben sind vor Kälte umgefallen … sie liegen neben den Reihen … aber die Reihen stehen!«
»Das ist eine Revolte!« schrie Dr. Kresin.
»Kommen Sie!« Dr. Böhler warf seine Jacke um und eilte aus dem Zimmer. Die Kasalinsskaja und Dr. Kresin folgten ihm. Auf dem Platz sahen sie schon von
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