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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weitem die starre, dunkle Mauer der Männer. So, wie sie vor einer Stunde zusammengerufen worden waren, standen sie noch. Zwischen ihnen die Lücken: neunzehn Mann – eine Lücke … neunzehn Mann – eine Lücke …
    Dr. Böhler sah sie an. Er sah in ihre verbissenen Augen, er blickte auf ihre blaugefrorenen Lippen.
    »Geht in die Baracken«, sagte er mild. »Walter Grosse ist gerettet.«
    »Dann werden wir ihn später ersäufen!« schrie jemand aus dem unbeweglichen Block. Die russischen Posten standen herum und wußten nicht, was sie tun sollten.
    »Er ist ein Verräter!« rief einer aus der Menschenmauer. »Er hat uns ausspioniert! Wir gehen nicht eher weg, als bis die anderen aus der Strafbaracke entlassen werden!«
    »Ihr könnt hier doch nicht stundenlang stehenbleiben!«
    »Wir können!« schrie ein anderer.
    »Nicht jeder zwanzigste ist schuldig, sondern wir alle!« rief ein dritter.
    Von der Kommandantur her kam Major Worotilow. Er war unheimlich blaß. Hinter ihm liefen vier Gruppen Wachtposten mit je einem schweren Maschinengewehr in der Mitte. Sie verteilten sich über den Platz und brachten die Waffen in Stellung. Drohend starrten die schwarzen Läufe auf die Menschenmauer. Die Gurte rasselten durch das Schloß, die Schützen luden durch. Worotilow stellte sich neben Dr. Böhler.
    »Wegtreten!« brüllte er heiser.
    Keiner der 2.000 rührte sich. Sie sahen auf die Läufe der Maschinengewehre und schienen zu warten. In diesem Augenblick durchjagte Dr. Kresin eine Erleuchtung. Er griff nach vorn, riß Dr. Böhler am Jackenkragen zu sich heran, schleifte den Verblüfften vor ein Maschinengewehr und stieß ihn brutal an den Lauf, der kurz ein wenig nach oben schwenkte.
    »Ihr geht sofort in die Baracken!« schrie er über den Platz und hob den Arm. »Wenn ich die Hand senke, und ihr steht noch hier, lasse ich Dr. Böhler erschießen!«
    Ein Knirschen ging durch die Reihen. Dr. Böhler blickte Kresin an. An seinen Augen sah er, daß es Ernst war, kein Bluff, kein Theater … wilde Entschlossenheit stand in diesen Augen. Worotilow war herumgefahren. Er starrte auf die beiden Ärzte und begann zu zittern. Nein! wollte er schreien, aber das Entsetzen lähmte ihn, und seine Stimme versagte.
    Dr. Kresin sah hinüber zu den 2.000 Gefangenen. Er wartete ein paar Sekunden, dann senkte sich langsam seine Hand. Der Posten am Maschinengewehr, ein Mongole, grinste dumm und legte den Finger an den Abzug.
    Die ersten Reihen des Blocks begannen zu schwanken … langsam bröckelte die Mauer ab. Einzeln schlichen die Männer zu den Baracken zurück, sie blickten sich um und sahen noch immer Dr. Kresin mit halb erhobener Hand stehen. Immer schneller lösten sich die Reihen auf, die letzten trugen die sieben ohnmächtigen Kameraden fort in das Revier … Regungslos starrte Worotilow auf den sich leerenden Platz, die Kasalinsskaja hatte die Augen geschlossen. Dr. Böhler wandte sich zu Kresin um. Der grinste … ein verzweifeltes, verzerrtes Grinsen.
    Der Platz war leer. Kresin trat gegen den Lauf des Maschinengewehres und ließ die Hand sinken. Er ließ den Jackenkragen Dr. Böhlers los, wandte sich ab und ging stumm, allein, nach vorn gebeugt davon. Keiner schloß sich ihm an … alle warteten, bis er zwischen den Blocks verschwunden war. Dann erst ging auch die Kasalinsskaja. Sie vermied es, Dr. Böhler anzusehen.
    Sie schämte sich.
    Die Posten marschierten ab. Der Platz lag leer in der klirrenden Kälte, nur Dr. Böhler und Worotilow standen noch da. Langsam ging der Major auf den Arzt zu.
    »Verzeihen Sie«, sagte er leise.
    »Was?«
    »Ich danke Ihnen.« Worotilow senkte den Kopf. »Sie haben Walter Grosse das Leben gerettet, Leutnant Markow und vielen, vielen anderen. Heute, soeben haben Dr. Kresin und Sie mir das Leben gerettet …«
    Er wollte Dr. Böhler die Hand geben, aber dann zog er die halb ausgestreckte Hand zurück und drehte sich um. Mit großen Schritten eilte er davon.
    Aus der Ecke einer Baracke löste sich eine Gestalt. Klein, schmal, frierend stand sie im Schnee. Ohne Mütze, ohne Mantel, ohne Handschuhe. Die blonden Locken umgaben das bleiche Gesicht: Terufina Tschurilowa. Sie weinte …
    Dr. Böhler sah sie nicht mehr. Er war schon auf dem Weg zum Lazarett.
    In der Nacht kam Walter Grosse wieder zur Besinnung. Dr. Schultheiß hockte an seinem Bett, Ingeborg Waiden saß an der Tür und drehte Tupfer für Operationen.
    Grosse sah sich ängstlich um und versuchte, sich im Bett aufzurichten. Als Dr.

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