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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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unvermeidlich mit Vera Lachaert zusammentreffen, all das schien sich jetzt zu bestätigen. Nein, tut mir leid, ich kann nicht, hatte Jensen gesagt. Warum nicht?, hatte Annick gefragt. Damit Lulambo nicht recht bekam, deswegen, aber es wäre eine schale Begründung gewesen. Man konnte es auch umgekehrt sehen: Lulambo zum Trotz musste er Vera Lachaert kennenlernen! Es gab doch, bei Licht betrachtet, keinen vernünftigen Grund, weshalb das nicht geschehen sollte. Er war es sich geradezu schuldig, diese Aufgabe zu übernehmen, andernfalls hätten Lulambos Wahnvorstellungen gesiegt.

    »Du kommst schon wieder zu spät«, sagte sie.
    »Ein paar Minuten.«
    Sie schloss die Haustür ab, stülpte sich die Kapuze ihres schwarzen Ledermantels über den Kopf und trieb ihn zur Eile an. Er hakte sich bei ihr unter, aber sie entzog ihm ihren Arm.
    »Geh du voran«, sagte sie.
    Der Zauber der letzten Nacht war endgültig verflogen.
    Jensen ging voran, sie folgte ihm; manchmal berührte ihr Blindenstock seine Beine. Wind fuhr in den Schnee, jagte die Flocken in alle Richtungen. Jensen schlug den Kragen der Skijacke hoch. Auf der Bisswunde schienen Ameisen herumzukrabbeln. Er schob seinen Finger unter den Schal und kratzte sich vorsichtig. Den Juckreiz hielt er für ein positives Zeichen, der Heilungsprozess setzte ein, so als wirke die Salbe schon allein durch ihre pure Anwesenheit in seiner Manteltasche.
    Sie näherten sich der Ringstraße, wo er den Wagen geparkt hatte. Auf dem Gehsteig lag ein umgestürztes Fahrrad.
    »Ein Fahrrad«, sagte Jensen. »Auf zwölf Uhr.«
    Wie früher, dachte er.
    Er hatte gehofft, dass sie, nach der gestrigen Nacht, von nun an nebeneinander gehen würden, Arm in Arm, und dass es nicht mehr nötig sein würde, sie in der Pilotensprache auf Hindernisse hinzuweisen, nur weil sie das gemeinsame Gehen scheute und lieber allein, zwei Schritte hinter ihm ging, und ihn vorschickte, sich von ihm lotsen ließ, obwohl ihre Selbstständigkeit dadurch nicht weniger eingeschränkt wurde, als wenn sie sich von ihm am Arm hätte führen lassen.
    Sie setzten sich in den Wagen, den Jensen nun doch nicht in die Werkstatt gebracht hatte. Ihnen stand eine kalte Fahrt bevor. Der Heizungsmonteur. Auch das war nach wie vor unerledigt. Heute war Freitag. Er musste den Monteur unbedingt noch vor Feierabend anrufen, andernfalls würde das Haus übers Wochenende völlig auskühlen.
    »Warst du beim Arzt?«, fragte Annick.
    Jensen stellte den Motor an.
    »Wie kommst du darauf?«, fragte er.
    »Du riechst danach.«
    »Ja, ich war beim Arzt. Nur für eine Blutdruckmessung. Und wie geht es Trees? Weißt du etwas Neues?«
    »Nein. Ich rief im Krankenhaus an, aber sie geben mir telefonisch keine Auskunft. Ich bin keine Familienangehörige. Und Jorn konnte ich noch nicht erreichen. Er hat sein Handy ausgeschaltet. Wahrscheinlich ist er bei Trees auf Krankenbesuch. Er hätte mich bestimmt angerufen, wenn es nötig gewesen wäre. Ich denke, es geht ihr gut. Ich werde sie besuchen, wenn wir aus Antwerpen zurück sind.«
    Und dann wird sie es dir erzählen, dachte Jensen. Sein Fleck am Hals, wie würde er ihn Annick erklären? Ein Sturz? Die Wahrheit kam jedenfalls nicht in Frage. Die gemeinsame Zukunft mit Annick und Marleen war ihm jede Lüge wert. Trees Lachaert, Ilunga Likasi, sie hatten in seinem Leben nichts zu suchen. Er hatte alles Recht der Welt, diese Leute und alles, was ihn mit ihnen verband, wegzulügen.
    Er fuhr los. Der Scheibenwischer funktionierte, immerhin. Aus dem Gebläse der Klimaanlage strömte hingegen kalte Luft. Als er auf die Autobahn einbog, zog Annick ihre Handschuhe an.
    »Es ist kalt hier drin«, sagte sie. »Kannst du bitte die Heizung aufdrehen?«
    »Sie funktioniert nicht. Ich werde es reparieren lassen.«
    »Wenn ich schon frieren muss, möchte ich wenigstens Musik hören.« Sie holte eine Beatles-CD aus ihrer Handtasche, er stöhnte scherzhaft.
    »Ja, ich weiß«, sagte sie. »Aber ich muss mich auf dasGespräch mit Vera konzentrieren. Und diese Musik hilft mir dabei.«
    »Gib schon her«, sagte er. Er steckte die CD ins Abspielgerät und drehte den Volumenregler auf eine Stufe mehr als null. »Ich kann aber nicht gleichzeitig steuern und mir die Ohren zudrücken.« Hinter seinen Scherzen über ihre Leidenschaft für die Beatles steckte seine ernsthafte Sorge, dass sich ihre Gefühlswelten zu sehr unterschieden.
    Roll up, sangen die Knaben, roll up for the mystery tour …
    Während diese Klänge in ihr

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