Der Assistent der Sterne
versuchen, Trees davon zu überzeugen, dass dieser Mann Hilfe braucht. Beruf dich auf mich. Sag ihr, dass dein Freund, der Polizist, mit Pierre Lulambo gesprochen hat und dass Lulambo ein Geständnis abgelegt hat.«
Aussichtslos, dachte er. Trees Lachaert würde Lulambos Geständnis für eine Finte halten, für das Kernstück einer Intrige, die er, Jensen, gesponnen hatte, um von seinen Mordabsichten abzulenken.
Er lachte. Die Absurdität, mit der er konfrontiert wurde, war überwältigend. Gegen das Irrationale war die Vernunft eine Schnecke, langsam, verletzlich, leicht zu zertreten.
»Warum lachst du?«
»Ich bin müde«, sagte er.
Und jetzt erzähl mir von Vera Lachaert, dachte er. Das war ja der nächste Akt dieser Posse.
»Gib mir noch fünf Minuten«, sagte Annick. »Dann gehen wir nach oben und schlafen. Einverstanden? Ich möchte das vorher noch erledigen. Also: Ich danke dir, dass du mit diesem Wahrsager gesprochen hast. Ich befürchte nur, dass es für Trees keine Rolle spielt, ob er gelogen hat oder nicht. Ich glaube, sie will einfach ihre Tochter wiederhaben. Vor zwei Jahren hat Vera den Kontakt zu ihr und Jorn abgebrochen, von einem Tag auf den anderen und sehr konsequent. Seither hat Trees nichts mehr von ihr gehört. Vera ruft nicht mehr an. Vera besucht sie nicht mehr, nicht einmal zu Weihnachten. Trees kennt nicht einmal ihre Adresse. Die Tochter will einfach nichts mehr von ihnen wissen.«
»Das kommt vor«, sagte Jensen. »Wie alt ist sie?«
»Neunundzwanzig. Und natürlich kommt das vor. Aber das Merkwürdige ist, dass Vera ihre Eltern bis vor zwei Jahren jede Woche besucht hat. Trees erzählt mir immer, wie nahe sie sich damals standen. Vera ist jeden Samstag nach Brügge gefahren. Jedes Wochenende hat sie bei ihnen verbracht. Sie hat in ihrem ehemaligen Kinderzimmer übernachtet, sie hat für die Eltern gekocht. Sie war Trees’ beste Freundin. Und dann, plötzlich, ohne erkennbaren Grund, hat sie sich völlig zurückgezogen.«
»Vor zwei Jahren. Da war sie siebenundzwanzig. Ich würde sagen, es war allmählich Zeit.«
»Aber nicht auf diese Weise. Ich kenne natürlich nur Trees’ Variante der Geschichte. Und ich kann mir vorstellen, dass Trees vielleicht etwas Entscheidendes übersehen hat oder es nicht sehen wollte. Aber Vera hat den Kontakt zu ihren Eltern so plötzlich und so total abgebrochen, dass der Grund vielleicht woanders liegt, nicht bei Trees oder Jorn. Aber ich will nicht darüber spekulieren, Hannes. Ich weiß zu wenig. Ich weiß nur, dass Vera mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben will, aus welchen Gründen auch immer. Und ich weiß, dass es Trees buchstäblich das Herz bricht. Sie will ihre Tochter zurück. Und wer könnte sie ihr zurückbringen? Sie selbst hat es versucht und ist gescheitert, und von Jorn will Vera ja auch nichts mehr wissen, er ist ihr keine Hilfe. Wie kommt sie an ihre Tochter heran? Das ist alles, was sie interessiert. Ihre Schwester könnte vielleicht vermitteln. Aber die Schwester lebt in Boston. Sie ist schwer zuckerkrank, lebt von einer Witwenrente und kann Trees höchstens am Telefon unterstützen. Und sonst gibt es da niemanden. Außer mich. Das ist es, was mir heute klar geworden ist, Hannes. Trees möchte, dass ich als ihre Botin mit Vera spreche und eine Versöhnung arrangiere. Sie braucht eine Unterhändlerin, und dafür komme nur ich in Frage. Aber natürlich weiß sie, dass ich für eine solche Aufgabe Hilfe brauche. Wahrscheinlich hat sie mich deshalbnicht darum gebeten. Sie hat einfach gehofft, dass ich von selbst darauf komme, und das ist hiermit geschehen. Aber wie gesagt, Hannes: Ich kann es nicht allein tun. Vera wird ein Treffen mit mir ablehnen. Ich werde sie also überlisten müssen. Und dafür brauche ich deine Hilfe.«
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15
E s war ein glasiger Morgen, die Eiskrusten auf den Pflastersteinen knackten unter Jensens Schritten. In der Vlamingstraat streute ein Ladenbesitzer Salz vor die Tür seines Geschäfts; der vereiste Schnee knisterte leise, als das Salz ihm die Kälte entzog. Ein Lieferwagen taute auf; der Fahrer las bei laufendem Motor die Zeitung, über die Windschutzscheibe rutschte eine Schneescholle. Jensen fror unter seiner Skijacke, er hatte wenig und unruhig geschlafen. Einmal war er erwacht, in einem fremden Zimmer, und neben ihm lag eine Frau. Danach hatte ihn die Aufregung darüber, dass Annick neben ihm schlief, lange wach gehalten.
Vanackeres Praxis befand sich am Ende der Vlamingstraat, dort,
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