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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Tisch ist der dort hinten, neben dem Fenster. Also, wenn Sie möchten, setzen Sie sich einfach zu mir. Wenn nicht, wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.«
    Ilunga Likasi ließ ihren Blick über ihn gleiten und ging dann zu ihrem Tisch. Sie trug anthrazitfarbene Strümpfe und Stiefel mit hohem Schaft, ihr Rock spannte sich bei jedem Schritt. Zwei Männer schauten von ihren Tellern auf.
    »Hannes?«, sagte Annick.
    »Ja?«
    »Kannst du mir erklären, warum du draußen in der Kälte warten willst, wenn diese Dame uns zwei Plätze anbietet? Was ist los mit dir? Du hast Angst. Ich höre es an deiner Stimme.«
    Sie strich ihm über die Stirn.
    »Du schwitzt.«
    »Weil es warm ist. Und ich hasse volle Restaurants. Mir ist schwindlig. Ich muss an die frische Luft.« Es war nicht gelogen. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich wächsern an, er bot keinen Halt mehr.
    »Lass mich jetzt bitte nicht im Stich«, sagte sie. »Vera kann jeden Moment kommen. Vielleicht sitzt sie auch schon hier, und du hast sie nur noch nicht gesehen. Wenn du dich nicht zu dieser Frau setzen willst, gut. Wir können uns auch anderswo hinsetzen. Aber du darfst mich jetzt hier nicht allein lassen. Das verstehst du doch?«
    »Ja.«
    »Also. Ist sonst noch irgendwo ein Platz frei?«
    Verzweifelt blickte er sich um, zwei leere Stühle hätten ihn gerettet, aber auf die einzigen freien Plätze hatte Ilunga Likasi ihre Hand gelegt.
    »Nein«, sagte er. Und nun verbündete sich auch noch sein Körper mit Ilunga Likasi, seine Beine trugen ihn nicht mehr zuverlässig, er musste sich setzen. Er atmete tief ein, aber es gab hier nicht genügend Sauerstoff, nur verbrauchte Luft; was man hier einatmete, hatte zuvor schon ein anderer in der Lunge gehabt. Fünf Minuten an die frische Luft, er überlegte, ob er mit Annick darüber verhandeln sollte, aber wahrscheinlich hätte sie ihn gebeten, ihn zuvor an den Tisch der Likasi zu führen, und unter keinen Umständen durfte er Annick mit ihr allein lassen. Er rieb sich die schweißnassen Hände an der Skijacke trocken.
    »Bitte«, sagte Annick. »Ich möchte mich jetzt setzen. Ich musste mich heute Morgen zweimal übergeben. Und wenn ich nicht bald etwas esse, Eiscreme mit Sauerkraut zum Beispiel …« Sie lächelte. »Ab dem sechsten Monat soll es besser werden, sagt man.«
    Die denkbar schlimmste Situation war eingetreten, und er sah keine Möglichkeit, ihr zu entkommen. Er drehte sich um, die Bewegung löste heftigen Schwindel aus; das Lokal bewegte sich hin und her, so als hänge es an einem Pendel.
    Ilunga Likasi wartete an ihrem Tisch; sie trank einen Schluck Wein und blickte zu ihm hinüber.
    »Gehen wir«, sagte er.
    Vielleicht hält sie dicht, dachte er. Die ganovenhafte Bezeichnung empfand er als passend. Möglicherweise wollte sie ihn lediglich in Verlegenheit bringen, seine Verletzlichkeit genießen, ihm die Flinte an die Stirn setzen, ohne aber abzudrücken.
    Annick legte ihre Hand auf Jensens Schulter und ließ sich von ihm durch die enge Schneise zwischen den Tischen führen. Eine Frau hielt ihr Glas fest, als sie Annick kommen sah. Andere rückten weg, um ihr Platz zu machen.
    »Sie konnten sich also einigen«, sagte Ilunga Likasi. »Das freut mich. Es ist hier immer sehr voll, vor allem in der zweiten Wochenhälfte. Ich weiß nicht, warum. Am Essen kann es nicht liegen.«
    Annick lachte. Sie setzte sich auf den falschen Stuhl, falsch für Jensen, denn er war gezwungen, sich Ilunga Likasi gegenüberzusetzen. Es wäre ihm lieber gewesen, Annick hätte ihr gegenübergesessen, dann hätte er in größtmöglichem Abstand zu Ilunga Likasi neben Annick sitzen können.
    »Nochmals vielen Dank«, sagte Annick.
    »Das ist doch selbstverständlich. Sind Sie zum ersten Mal hier?«
    »Ja«, sagte Annick.
    »Soll ich Ihnen die Speisekarte vorlesen?« Ilunga Likasi verlor keine Zeit. »Oder macht das Ihr … Freund?«
    »Ich werde den Kellner fragen, was es gibt.«
    »Ich kann die Moules empfehlen«, sagte Ilunga Likasi. »Sie sind halbwegs frisch, und Sie können sie mit den Händen essen. Das fällt Ihnen sicher leichter.«
    Annick ließ sich nichts anmerken.
    »Sie sind nicht aus Antwerpen?«, fragte die Likasi.
    »Nein«, sagte Annick. »Wir kommen aus Brügge.«
    »Brügge. Das ist natürlich romantischer. Ich nehme an, Sie wohnen in der Altstadt?«
    »Ja.«
    »Das leuchtet mir ein. In der Altstadt findet man den Heimweg mit verbundenen Augen.«
    Seit sie am Tisch saßen, hatte Ilunga Likasi Jensen noch

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