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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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wo diese in den Marktplatz mündete. Jensen meldete sich bei der Gehilfin an. Sie war neu, er hatte sie noch nie gesehen, und er fand sie zu hübsch für eine Arztgehilfin. Es wäre ihm peinlich gewesen, sie um einen Becher für die Restharn-Untersuchung zu bitten. Außerdem störte ihn der Kaugummi, den sie geräuschvoll zwischen den Backenzähnen knetete.
    »Der Doktor wird Sie gleich empfangen«, sagte sie, sie schmatzte. Sie blickte Jensen interessierter an, als es notwendig gewesen wäre. Er fragte sich, ob sie spürte, dass er wieder ein Liebesleben hatte und im Augenblick alle Frauen begehrte, vor allem natürlich Annick, die ihn gestern wiedererweckt hatte. Aber die Erweckung war ihrem Wesen nach universal, sie bezog sich auf alle Frauen.
    Theoretisch, dachte er.
    »Wenn ich Sie dann bitten darf«, sagte die Gehilfin. Sie lächelte, sie hatte schöne weiße Zähne und breite, volle Lippen.
    Und wegen Zähnen, dachte Jensen, bist du ja hier.
    Im Behandlungszimmer setzte er sich auf den Stuhl, und während er auf Vanackere wartete, betrachtete er das Gemälde, das über dem Aktenschrank hing. Es zeigte ein Balkonfenster, das sich in der Sommerhitze auf einen bunten Garten hin öffnete. Es sollte die Patienten in Sicherheit wiegen; das Bild erinnerte Jensen an die harmlosen Komödien, die auf Langstreckenflügen gezeigt wurden.
    Vanackere schien in Eile zu sein, er fand kaum Zeit, Jensen die Hand zu drücken, bevor er sich hinter seinen Schreibtisch setzte.
    »Wie ist das Befinden?« Vanackere schlug Jensens Patientenakte auf. »Was führt Sie zu mir?«
    »Es ist nur eine Kleinigkeit«, sagte Jensen. »Wahrscheinlich wird es eine Salbe schon tun.«
    Vanackere setzte seine Brille auf.
    »Sie waren zuletzt bei mir wegen Ihrem niedrigen Blutdruck.«
    Er studierte ein Blatt aus der Akte, das Blatt zitterte in seiner Hand.
    »Wegen Schwindelgefühlen«, sagte Jensen. »Aber die sind jetzt praktisch verschwunden.«
    »Praktisch?« Vanackere schaute ihn über den Brillenrand hinweg an. »Praktisch gibt es bei mir nicht. Man kann nicht praktisch keinen niedrigen Blutdruck haben. Aber gut, sehen wir uns das einmal an. Legen Sie bitte den Arm hier auf das Polster.«
    Ich muss mich nach einem neuen Hausarzt umsehen, dachte Jensen. Vanackere war ein tadelloser Allgemeinmediziner, aber eben seit bereits fünfzig Jahren. In Brügge munkelte man, dass er unter Morbus Parkinson litt und keine Nadel mehr ohne Gestocher in die Vene einführen konnte.
    Vanackere legte Jensen die Manschette um den Oberarm und pumpte sie auf.
    »Mein Blutdruck ist in Ordnung«, sagte Jensen.
    »Nicht sprechen!«
    In Jensens Arm hämmerte der Puls.
    »Hundertvierzig auf neunzig.« Vanackere zog sich die Stöpsel des Stethoskops aus den Ohren. »Das ist eher sogar etwas zu hoch. Diese Schwindelbeschwerden, haben Sie die jetzt im Moment auch?«
    »Nein. Ich bin aus einem anderen Grund hier. Ich möchte Sie bitten, sich einmal meinen Hals anzusehen. Ich habe da seit einigen Tagen eine …« Bisswunde wollte er es nicht nennen. »… eine Art Bluterguss.«
    »Ich verstehe.« Vanackere bat ihn auf das Behandlungsbett, das mit einem Wegwerfpapier abgedeckt war. Die Farbe an den Metallbeinen war teilweise abgeblättert, der Überzug rissig.
    Jensen legte den Schal ab.
    »Das Kinn heben, und den Kopf nach links.«
    Jensen spürte Vanackeres warmen Atem am Hals.
    »Das haben Sie aber nicht erst seit gestern.«
    »Nein. Seit einigen Tagen.«
    Vanackere griff zu einer Lupe.
    »Sind Sie gestürzt?«
    »Nein.«
    Vanackere besah es sich durch die Lupe.
    »Sind Sie in eine Schlägerei geraten?«
    »Auch das nicht.«
    Jensen zuckte zusammen.
    »War das unangenehm?«
    »Ein wenig.«
    »Es ist eine Quetschung. Aber die Blutergüsse, sehen Sie, hier.« Wieder drückte er darauf, es war schmerzhaft. »Sie sind punktförmig. Und das Muster. Das sieht mir aus, als hätte Sie jemand in den Hals gebissen. Kann das sein? Die näheren Umstände gehen mich natürlich nichts an. Sie brauchen mir nicht zu antworten. Es würde mich nur interessieren, ob ich recht habe.«
    »Ja«, sagte Jensen.
    »Ich verstehe. Das erklärt auch, warum Sie es lieber mir zeigen als dem Dienstarzt.«
    »Welchem Dienstarzt?«
    »Sie sind doch Polizist? Sie haben doch bestimmt einen Vertrauensarzt in Ihrer Abteilung?«
    »Ich habe den Dienst quittiert. Und es gab bei uns keinen Vertrauensarzt.«
    »Das ist ja interessant.« Vanackere blickte aus dem Fenster. »Wissen Sie, es ist ein ziemlich

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