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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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wurde und er einen mit einem Adlerkopf verzierten Dolch aus der Schublade zog, mit dessen Spitze er die Nullen in den Daten einer Protonen-Kollision ausstanzte.
    »Drei!«, rief De Reuse, er riss die Falltür auf.
    Ein Versteck, dachte Jensen. Vielleicht lag Ilunga Likasi da unten.
    De Reuse leuchtete in die Öffnung.
    »Das, mein lieber Jensen, ist das Werk eines Menschen, dem ich mich verbunden fühle. Ohne ihn zu kennen. Ich sagte ja: Es ist kein Zufall, dass ich diese Tür entdeckt habe und nicht die anderen. Wer immer dieses Versteck gebaut hat, empfand diesen Wald als Schiff. Genau wie ich. Dieser Unbekannte und ich, wir wollten beide von hier weg. Sehen Sie die Leiter? Ich lasse Ihnen gern den Vortritt.«
    »Und was werden wir da unten finden?«, fragte Jensen. »Ihre Freundin?«
    De Reuse lachte. Er hielt die Taschenlampe mit den Zähnen fest, kniete sich hin, streckte ein Bein in die Öffnung, und nachdem er Tritt gefasst hatte, verschwand er sehr schnell im Waldboden. Und mit ihm das Licht, es war jetzt dunkel und still. Der Wind rauschte. Die Bäume hatten die Farbe der Nacht angenommen. Etwas berührte Jensens Gesicht, ein letztes, vom Wind weggewehtes Blatt wahrscheinlich. Er schlug danach. Seinen Wagen konnte er nicht mehr sehen, aber es wäre leicht gewesen, ihn zu finden, manhätte nur dem Waldpfad folgen müssen, der Lücke zwischen den Bäumen. Fünfzig Schritte, vielleicht hundert.
    »Jensen!« De Reuses Stimme klang dumpf, als habe er Erde im Mund. »Ich will ein Geständnis ablegen. Das dürfen Sie sich nicht entgehen lassen. Also kommen Sie schon! Die Show findet hier unten statt!«
    Jensen wog den Spaten in seiner Hand. Es war ein kurzstieliger Spaten, geeignet, um notfalls auch in einem engen Erdtunnel zum Schlag auszuholen.
    »Ich brauche Licht!«, rief Jensen hinunter.
    »Treten Sie nicht auf die erste Stufe!«
    Jensen tastete mit dem Fuß nach der zweiten. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie sein Gewicht trug, stieg er abwärts. Die Taschenlampe, die De Reuse von unten auf ihn richtete, erzeugte mehr Schatten als Licht. Es war eine hölzerne Leiter, grob, aber stabil gezimmert aus schmalen Brettern, mit Schrauben vernutet. Der Abstieg dauerte eine Zeit, Jensen schätzte die Tiefe auf zehn Meter. Als er den Grund erreichte, leuchtete De Reuse ihm direkt ins Gesicht; Jensen schloss die Augen und machte sich darauf gefasst, blind zuzuschlagen.
    »Entspannen Sie sich«, sagte De Reuse. Er wandte sich von Jensen ab und richtete das Licht in einen Stollen, der fachmännisch mit Stützbalken gesichert war; die Erde zu beiden Seiten hatte man mit Brettern verschalt. Ein altes Bergwerk? Dann hätte man es doch aber wohl kaum durch eine Falltür betreten. Jensen folgte De Reuse tiefer in den Stollen hinein; man konnte aufrecht gehen, denn der Stollen war großzügig gegraben worden, man hätte ein Klavier darin transportieren können. Nach fünfzig Schritten mündete der Stollen in einen erstaunlichen Raum.
    »Schauen Sie sich das an«, sagte De Reuse ehrfürchtig. Er ließ den Strahl der Taschenlampe langsam über die Wändegleiten. Auf der Holzverkleidung hatten sich Reste einer Tapete erhalten. Das Motiv war noch zu erkennen, eine Windmühe, dahinter ein Meer mit einem Segelschiff.
    »Er hat diesen Raum tapeziert«, sagte De Reuse. »Sehen Sie? Es ist ein Wohnzimmer. Er ist nur nicht mehr dazu gekommen, es einzurichten.« De Reuse berührte ein Stück der Tapete, vorsichtig, mit den Fingerspitzen, um nichts zu zerstören. »Ist das nicht unglaublich? Wozu ein Mensch fähig ist, wenn andere sein Leben zerstören wollen? Ihnen ist doch klar, wer das hier gebaut hat? Es war jemand, der über der Erde nicht mehr leben konnte. Als ich dieses Bauwerk entdeckt habe, als Kind, war die Tapete noch sehr viel besser erhalten. Es muss also während des Krieges entstanden sein. Aber das spielt keine Rolle, Jensen. Es hat mich nie interessiert, ob es ein flämischer Jude war, der das alles hier geschaffen hat, oder ein Widerstandskämpfer, das ist irrelevant. Das Bedeutsame an diesem Raum ist der Wille, sich einen Rest seines Lebens zu bewahren, des Lebens, das dieser Mensch führte, bevor die anderen kamen und es ihm wegnehmen wollten. Sein Leben! Ich meine damit nicht, dass sie ihn töten wollten. Ich glaube sogar, dass es nicht so war. Er hätte sonst nicht die Zeit gehabt, einen zehn Meter tiefen Schacht zu graben. Allein die Arbeit am Schacht muss Wochen gedauert haben. Danach hat er den Stollen

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