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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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ausgehoben, er musste den Aushub hinausbefördern. Das hat ihn weitere Wochen Arbeit gekostet. Dann die Stützbalken. Er hat sie alle allein hierhergeschleppt, wahrscheinlich nachts. Und schauen Sie, wie sorgfältig er gearbeitet hat! Fuge auf Fuge. Alles ordentlich vernagelt. Und am Schluss, nach einem halben Jahr härtester Arbeit, hat er sich sogar noch die Mühe gemacht, diesen Raum zu tapezieren. Er hatte Zeit, Jensen. Es ging ihm nicht darum, sich schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen. Vielleichthatte er gar nie wirklich vor, sich hier zu verstecken. Aber indem er das hier erschuf, gewann er seine Würde zurück. Wenn er hier unten hämmerte und schaufelte, grub er sich in sein Inneres, Jensen, und er erreichte jenen Teil in sich selbst, den die anderen nicht zerstören konnten. Hier unten war er ganz bei sich. Es war der einzige Ort, an dem er sich selbst nicht verachtete.«
    Die verschalten Erdwände dünsteten eine feuchte Wärme aus, der Schweiß rann Jensen in die Augen. Es war stickig, der Sauerstoff drohte knapp zu werden, umso mehr, als De Reuse durch seine Rede die Hälfte davon verbraucht hatte. Der Erdgeruch wurde unerträglich, ein fauliger, feuchter Gestank.
    »Ich warte auf Ihr Geständnis«, sagte Jensen. Er atmete tief ein, aber die Luft war wirklich dünn, es war keine Einbildung. Sein Gesichtsfeld dunkelte an den Rändern ein; Vanackere hätte jetzt interessante Blutdruckwerte messen können.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte De Reuse, er lächelte zufrieden. »Es könnte an der Thermik liegen. Ich meine die schlechte Luft hier unten. Sie ist wärmer als die oben, am Eingang des Schachts. Sie steigt folglich auf und verhindert so den Luftaustausch. Das ist aber nur eine Vermutung. Von Thermik verstehe ich …«
    »Ich habe nicht alle Zeit der Welt«, sagte Jensen.
    De Reuse richtete die Taschenlampe auf einen am Boden liegenden Balken. Er zog die Wollmütze vom Kopf, hockte sich auf den Balken und massierte sich die Stirn wie jeder, der lange eine Wollmütze getragen hat. »Kommen Sie«, sagte er. »Setzen Sie sich neben mich. Als ich zum letzten Mal hier saß, war es allerdings bequemer. Meine Beine waren einen halben Meter kürzer.«
    Immerhin konnte man den Rücken an die Wand lehnen;Jensen war im Augenblick mit wenig zufrieden. Jetzt, da er saß, wenn auch auf den scharfen Kanten des Balkens, fühlte er sich etwas besser.
    »Heute morgen um elf Uhr«, sagte De Reuse, »besuchte mich Inspecteur Verstreken, in meiner Wohnung. Er teilte mir mit, dass ich eine Freundin habe. Sie heiße Vera Lachaert. Für die Beziehung zwischen ihr und mir gebe es Zeugen. Ich solle das gar nicht erst abstreiten. Ich machte mir einen kleinen Scherz daraus, den Trottel zu spielen. Das ist ein Irrtum, sagte ich. Meine Freundin heißt Ilunga Likasi. Daraufhin erklärte mir Ihr Kollege, dass meine Freundin zwar einen Antrag auf Namensänderung gestellt habe, offiziell aber immer noch Vera Lachaert heiße. Er fragte mich, ob ich das wirklich nicht gewusst habe. Nein, sagte ich, nein. Ich schwöre es bei meinem Augenlicht. Zu meiner Erleichterung merkte Ihr Kollege jetzt, dass ich mir einen Spaß erlaubt hatte. Man wünscht sich ja eine intelligente Polizei. Mein kleiner Scherz verunsicherte ihn. Er fragte sich, ist es Taktik oder kann der Kerl sich das tatsächlich erlauben? Jedenfalls führte er jetzt seine Artillerie ins Feld, das große Geschütz. In Ilungas Wagen hat man Blut gefunden, Blutgruppe Null. Er behauptete, das sei meine Blutgruppe. Wie hat er das übrigens herausgefunden?«
    »Ihre Blutgruppe?«
    »Ja. Das hat mir wirklich imponiert. Nur ein paar Stunden nachdem Ilunga verschwunden ist, kennt Ihr Kollege bereits meine Blutgruppe. Item. Ihr Kollege fragte mich, ob ich jetzt ein Geständnis ablegen wolle. Ich sagte ihm, dass dann aber jeder dritte Belgier gleichfalls eines ablegen müsste. Er verstand die Anspielung nicht. Ich musste es exemplifizieren. Siebenunddreißig Prozent aller Belgier besitzen Blutgruppe Null, und es sind nicht die unwichtigsten aller Belgier. Jedenfalls nicht, wenn es um Bluttransfusionengeht. Ich fragte Ihren Kollegen, welche Blutgruppe er selbst habe. Sie hätten sein Gesicht sehen müssen. Es wurde zu einer einzigen, großen Null.«
    »Entscheidend ist die Speichelprobe. Sie mussten doch bestimmt eine abliefern?«
    »Natürlich. Und sie wird ergeben, dass die DNA in Ilungas Wagen nicht mit meiner übereinstimmt. Es ist alles wunderbar.« De Reuse lächelte

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