Der Assistent der Sterne
Rettung lag in der Flucht. Ich brauchte ein Schiff. Das ist der Grund, weshalb ich es war, der das Geheimnis dieses Wäldchens entdeckte, und nicht die anderen.«
De Reuse streckte Jensen den Spaten hin.
»Nur zu. Nehmen Sie ihn. Vielleicht ist Ihnen dann wohler. Sie haben Angst, nicht wahr? Sie fürchten, ich könnte Sie niederschlagen und bei den Engerlingen verscharren.« Er rammte den Spaten in den Boden. »Sie würden es sogar verstehen. Sie wissen, dass ich allen Grund dazu hätte. Sie haben meinen Mietwagen gestohlen. Sie haben mich und Van Gaever zurückgelassen, in einer Gegend, in der man ohne Fahrzeug leicht in Lebensgefahr gerät. Und danach haben Sie mit meiner Freundin geschlafen. Ich erwähne das nur der Vollständigkeit halber. Wenn ich Sie erschlagenwürde, dann wegen des Wagens. Das andere ist ganz allein Ihr Problem.«
De Reuse legte die Hand auf Jensens Schulter. »Ich sagte ja: Ich werde ein Geständnis ablegen. Sie werden von mir erfahren, wer Ilunga getötet hat. Na los. Nehmen Sie die Schaufel. Sie gehört Ihnen. Ich bin unbewaffnet.« Er breitete die Arme aus. »Wollen Sie meine Taschen durchsuchen? Bitte. Hier.« Er öffnete zwei, drei Taschen seiner Jagdweste. »Greifen Sie hinein. Ich erlaube Ihnen die Leibesvisitation ausdrücklich.«
Jensen ließ den Spaten stecken, legte aber seine Hand auf den Knauf. Es war kalt, er fror, unter seinen Schuhen knackten gefrorene Zweige. Krähen stritten sich in den Ästen.
»Kommen Sie zur Sache«, sagte er. Es wurde schon dunkel. Er konnte De Reuses Augen nicht mehr sehen.
»Keine Leibesvisitation? Wie Sie wollen. Dann werden Sie jetzt bestimmt froh sein, dass das hier nur eine Taschenlampe ist.« De Reuse zog sie unter seiner Weste hervor.
»Ich hätte Ihnen meine Entdeckung lieber bei Tageslicht gezeigt«, sagte er. »Es wäre eindrücklicher gewesen. Aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Sehen Sie das Flurkreuz dort?« De Reuse knipste die Taschenlampe an und richtete den Strahl auf das Kreuz. Es war ein überdachtes, hölzernes Wegkreuz, für den frommen Spaziergänger. »Es stand schon in meiner Kindheit hier. Sehen Sie? Das Gesicht von Jesus? Der Regen hat es weggewaschen. Das Kreuz wurde 1871 hier aufgestellt, auf der Rückseite ist die Jahreszahl eingekerbt. Das Kreuz hat mich als Kind sehr gestört. Ein Flurkreuz in einer Burg, gut, das war kein Stilbruch. Aber in einem Schiff hatte es nichts zu suchen. Und wenn, hätte es ganz vorn stehen müssen, beim Bug, da drüben am Waldrand, Richtung Osten, das ist der Bug. Dieses Flurkreuz machte für mich nur als Galionsfigur Sinn. Aus diesem Grund versuchte ich, es zu verschieben. Halten Sie die Lampe.« Er drückte sie Jensen in die Hand und stemmte sich dann gegen das Kreuz, dessen Standbalken in einen Zementblock eingelassen war, den De Reuse nun mit einiger Mühe über den Waldboden schob.
»Mir fehlte als Kind natürlich die Kraft«, sagte er atemlos, »um das Kreuz weiter als einen halben Meter zu verschieben. Aber das genügte schon.« Er scharrte mit der Stiefelspitze das vereiste Laub vom Boden. »Hier«, wies er Jensen an. »Hier müssen Sie graben. Es liegt nur wenig Erde darüber. Na los. Fangen Sie an. Geben Sie mir die Lampe.«
Jensen sah nicht ein, weshalb er hier graben sollte; wenn er sich aber weigerte, musste er De Reuse den Spaten wieder aushändigen, und das kam nicht in Frage. Also trat er den Spaten in die Erde; beim ersten Stich schon stieß er auf einen Widerstand.
»Was ist das?«, fragte er.
»Sie werden schon sehen.«
Jensen kratzte die Erde weg; darunter klang es nach Holz, Brettern.
Eine Falltür, dachte er, verborgen unter einem Flurkreuz. Wie alles Abenteuerliche war es zwangsläufig ein wenig lächerlich.
De Reuse richtete die Taschenlampe auf die verwitterten, splissigen Bretter.
»Das genügt schon«, sagte er. Er bückte sich und legte mit den Händen einen Eisenring frei. »Schieben Sie den Spaten hier unter die Fuge. Ich ziehe am Ring. Auf drei. Eins …«
Er ist in seinem Element, dachte Jensen. Der als Jägerverkleidete Physikprofessor öffnete geheime Falltüren, es hatte etwas Rührendes. Wie sehr musste De Reuse sich all die Jahre gelangweilt haben, in den hochreinen Experimentierräumen, deren Gerätschaften er nur mit weißen, sterilen Handschuhen berühren durfte, und im Hintergrund das stete Summen des Druckers, der unablässig Daten auswarf, in die der Professor sich bis in die Nacht hinein vertiefen musste, bis ihm der Hals eng
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