Der Atem der Angst (German Edition)
während seiner Abwesenheit die Kaninchen zu füttern. Das habe ich getan. Aus Sorge, sie könnten verhungern. Und da in St. Golden die meisten Leute die Schlüssel zu ihren Häusern unter ihre Fußmatte legen, habe ich eben mal nachgesehen. Und siehe da: Da lag ein Schlüssel.«
» Ich nehme an, dann geht es meinen Kaninchen gut?« Konrad legte den Kopf schief. Er musste aufpassen, dass er sich nicht Heidis schnippischen Tonfall aneignete. Sie waren schließlich keine Klassenkameraden mehr, die sich anfrotzelten.
» Ich habe ihnen zumindest Futter und Wasser gegeben.«
» Ich danke dir.« Das meinte er ernst. Interessant, wie doch immer wieder seine Pläne aufgingen.
» Dabei habe ich das Portemonnaie hier entdeckt.«
Heidi wies auf die Geldbörse, die neben ihm auf der Pritsche lag. Er hatte noch immer nichts zu verlieren. Aber dennoch musste er sich eingestehen, dass er bei all seinem Plänemachen übersehen hatte, dass dieses rosa Täschchen bei ihm herumlag. War es dadurch schwerer, die Geschichten der Menschen zu schützen, für die er sich verantwortlich füh lte? O der war es endlich Zeit, sich von deren Last zu befreien?
» Und da hast du sofort zugegriffen? Weil es rosa ist und du ein Mädchen bist?« Jetzt machte es ihn doch kurz ärgerlich, dass Heidi bei ihm im Keller gewesen war. Auch wenn er si e d orthin gelockt hatte. Aber doch nur wegen der Kaninchen.
» Werde nicht zynisch.« Heidis Nasenflügel bebten. » Du weißt genau, wem es gehört.«
Konrad verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen. » Weißt du es denn?«
» Sagen wir mal so.« Heidi lächelte gönnerhaft. » Ein Familienangehöriger hat es identifiziert.«
Konrad warf einen Blick auf das rosafarbene Hello-Kitty-Portemonnaie. Es hatte keinen Zweck mehr. Er hatte es versiebt. Und doch wehrte er sich mit Händen und Füßen gegen diese Tatsache. » Ich befürchte, von dieser Sorte wurde nicht nur eines hergestellt.«
» Da magst du recht haben. Zur Sicherheit lassen wir gerade die darauf gefundenen Fingerabdrücke und DNA -Spure n i m Labor untersuchen. Also, hast du etwas dazu zu sagen?«
» Tja…« Konrad schlug die Beine übereinander und verhielt sich wie ein Dreckskerl, der tatsächlich Dreck am Stecken hatte, sich nur für zu geschickt hielt, als dass man ihm etwas würde anlasten können. » Ich habe eine Ahnung. Und die teile ich dir gerne mit: Ich schätze, ohne es mit aller Wahrscheinlichkeit zu wissen, dass es sich hierbei um das Portemonnaie von dem Mädchen handelt, das man vor sieben Jahren tot an einem Hochsitz aufgefunden hat, auf dem wiederum meine Fingerabdrücke sichergestellt wurden.«
» Das vermutest du ganz richtig.« Heidi drehte sich zu Henner um, der wieder etwas in sein Notizbuch kritzelte.
Er räusperte sich und machte dabei ein unheimlich wichtiges Gesicht, als hätte er seit Beginn seiner Kariere auf diesen Einsatz gewartet. » Sie müssen nichts sagen. Alles, was Sie jetzt sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Sollten Sie sich…«
Konrad hob die Hand. » Schon gut. Ich weiß.«
» Danke, Henner.« Heidi lächelte versteinert ihren Kollegen an. Dann sagte sie, zu Konrad gewandt: » Ja? Und weiter?«
» Ich habe es damals in seinem Wagen gefunden.« Konrad wollte dieses alberne Spiel nicht mehr weiterspielen. Er hatte es nur gespielt, um nicht auszusprechen, was er wusste. Sei n e Familie hatte unendliches Leid über andere Famili e n gebracht– ohne das je gewollt zu haben. Die Pläne seines Bruders und seines Vaters waren nie aufgegangen. Und nun, zum ersten Mal, ging sein Plan nicht auf. Er saß in der Falle und musste reden.
Heidi hob die Augenbrauen. » In wessen Wagen?«
Konrad zog die Wolldecke um sich. Plötzlich war ihm kalt. Mit einem Mal fühlte er Nervosität aufsteigen– ein Gefühl, das ihn lange nicht mehr heimgesucht hatte. Er schluckte. » Im Wagen meines Vaters. Nachdem er sich in den Kopf geschossen hatte.«
» Mit dem gleichen Kaliber, mit dem auch Birgit achtzehn Jahre zuvor erschossen wurde. Wir haben die Patronen miteinander verglichen.«
Konrads Augen weiteten sich. Für einen kurzen Moment verlor er vollkommen die Fassung. Er stotterte: » Ihr habt das arme Mädchen gefunden? Wo um Gottes willen?«
» Das spielt momentan keine Rolle. Die Frage ist für mich viel eher, wie hängt all das miteinander zusammen?« Plötzlich bekam Heidis Stimme einen weichen, fast zutraulichen Klang. So als vertraue sie Konrad. So
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